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Michail Gorbatschow

Das neue Russland. Der Umbruch und das System Putin. Übersetzung aus dem Russischen von Boris Reitschuster

Berlin: Quadriga Verlag 2015; 559 S.; geb., 25,- €; ISBN 978-3-86995-082-2
Michail Gorbatschow knüpft mit diesen Lebenserinnerungen, die nun die Gegenwart berühren, an „Alles zu seiner Zeit“ (siehe Buch‑Nr. 43800) an. Er behält die Darstellungsform bei, eigene Erlebnisse mit dem allgemeinen Geschehen zu verknüpfen, sein Leben ist immer ein Ganzes, in dem Politik und Privates ineinanderfließen. Dieser Band ist allerdings über weite Teile von Nachdrucken längerer Interviews und Reden bestimmt, der Erzählfluss gestaltet sich dadurch eher zäh. Es verfestigt sich so der Eindruck, dass Gorbatschow auch und vielleicht sogar vor allem mit der Geschichtsschreibung in eigener Sache beschäftigt ist – was durchaus verständlich ist angesichts der Geringschätzung seiner großen historischen Leistung im eigenen Land. Aber die Abschaffung des Kommunismus war eben nicht in jedermanns Sinne, folgte doch die Schwächung der Rolle Russlands als Weltmacht und der wirtschaftliche Absturz. Gorbatschow zeichnet diese Entwicklung äußerst kritisch nach, neue Erkenntnisse zeigen sich dabei aber nicht – die zweifelhafte Schocktherapie vom Kommunismus zum Turbokapitalismus und der Einfluss der neuen Kaste der Oligarchen unter Jelzin sind gemeinhin bekannt. 1995 habe er deshalb daran gedacht und davon gesprochen, „wie man das Land vor dem Abgleiten in den Autoritarismus bewahren konnte“ (145), beschreibt Gorbatschow seine Sorge. Auffällig in der weiteren Darstellung ist dann der Versuch, der Politik und der Person Putins gerecht zu werden, so wird der Präsident wiederholt gelobt und von Gedankenaustauschen berichtet – aber es ist nicht zu übersehen, dass Gorbatschow auch in seiner eigenen Wahrnehmung stetig an Einfluss (so er denn noch vorhanden war) verloren hat. Es entsteht zudem der Eindruck, dass er die undemokratischen Verformungen des politischen Systems nicht allein der Elite anlastet – es sei die „nationale Krankheit“ der russischen Gesellschaft, dass sie „nicht genügend Fähigkeiten [besitzt], sich selbst zu organisieren und beharrlich und zielgerichtet zu arbeiten“ (307). Dennoch und gerade deswegen plädiert Gorbatschow entgegen Putins Kurs für eine starke Demokratie mit einem unabhängigen Parlament. So überzeugend diese auf die Innenpolitik bezogene Haltung sein mag, so vage sind die Äußerungen zu außenpolitischen Problemen wie der Ukraine‑Krise. Deutlich zu erkennen ist nur, dass Gorbatschow um sein Lebenswerk – die Aussöhnung Europas – fürchtet.
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Rubrizierung: 2.622.22.222.254.22 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Michail Gorbatschow: Das neue Russland. Berlin: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39289-das-neue-russland_47776, veröffentlicht am 21.01.2016. Buch-Nr.: 47776 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken