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Maximilian Gottschlich

Unerlöste Schatten. Die Christen und der neue Antisemitismus

Paderborn: Ferdinand Schöningh 2015; 227 S.; 19,90 €; ISBN 978-3-506-78247-2
Die Studie ist zweifelsohne ein wichtiger Beitrag zum Verständnis unserer bundesrepublikanischen und europäischen Gegenwart und zudem ein überaus beschämender. Denn mit dem neuen Antisemitismus brechen sich Ressentiments, Vorurteile und Hass Bahn, die nach der Befreiung von der Nazi‑Diktatur in einer aufgeklärten und erinnerungsbewussten Gesellschaft nicht mehr für möglich gehalten wurden. „Europas Juden packen ihre Koffer“ (15) – und das im Jahr 2015: „Der Judenhass ist virulenter denn je und der neue Antisemitismus in Gestalt des Antizionismus hat Europa fest im Griff.“ (20) Unter neuem Antisemitismus versteht Maximilian Gottschlich, der das Verhältnis der christlichen Kirchen zum Judentum, wie es sich nach Auschwitz entwickelt hat, in den Vordergrund seiner Analyse stellt, eine drängende gegenwärtige Herausforderung. Angesichts dieser sei es, so seine Diagnose, nicht ausreichend, sich wie bisher auf kirchliche Beschlussfassungen oder Erklärungen zurückzuziehen. So sei etwa die Erklärung Nostra Aetate, wie sie auf Initiative von Papst Paul VI. im Rahmen des Zweiten Vatikanischen Konzils beschlossen und veröffentlicht worden war, zu sehr vom Duktus fehlender Betroffenheit beziehungsweise Involviertheit geprägt. „Nostra Aetate“, so Gottschlich, „verurteilt zwar jede Form des Antisemitismus, aber in einer Art und Weise, als hätten die Kirche und mit ihr die Christenheit nichts und nie etwas selbst damit zu tun gehabt“ (44). Dennoch eröffne die Erklärung eine neue Perspektive, insofern sie auf die Notwendigkeit der Zusammenschau, auf die „engen Bindungen“ von Christen‑ und Judentum verweise: „Wer Jesus Christus begegnet, begegnet dem Judentum.“ (180) Das alles jedoch werde, so Gottschlich, Antisemiten nicht von ihrer Hetze und ihrem Hass abbringen, allzumal diese in den gegenwärtigen ökonomischen und sozialen Krisen neue Anlässe gefunden hätten. Die „fixe Idee der Antisemiten, dass die Juden an allem Mangel schuld seien“, lasse sich so mit neuer Dringlichkeit propagieren, könne aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Judenhass letztlich bloß Selbsthass sei: „Das Problem des Antisemiten ist es, dass er die schmerzvolle Erfahrung eines letztlich nie zu befriedigenden Mangels, des eigenen Nicht‑genügens, als Scheitern erlebt, aber für dieses Scheitern nicht sich selbst, sondern die Juden verantwortlich macht.“ (197) Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene sei aus christlicher Perspektive diesem Selbsthass nur mit Solidarität mit dem Judentum zu begegnen.
{LEM}
Rubrizierung: 2.232.35 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Maximilian Gottschlich: Unerlöste Schatten. Paderborn: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39263-unerloeste-schatten_47814, veröffentlicht am 14.01.2016. Buch-Nr.: 47814 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken