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Michael G. Festl

Gerechtigkeit als historischer Experimentalismus. Gerechtigkeitstheorie nach der pragmatischen Wende der Erkenntnistheorie

Konstanz: Konstanz University Press 2015; 503 S.; 49,90 €; ISBN 978-3-86253-057-1
Diss. St. Gallen; Begutachtung: D. Thomä, A. Honneth. – An gerechtigkeitstheoretischer Reflexion herrscht in der zeitgenössischen politischen Philosophie kein Mangel und mitunter scheint es, als gelte es nach der einen Frage zu suchen, die in ihrem Kontext noch nicht gestellt worden ist. In der Dissertation von Michael G. Festl geht es um die Ergründung, wie genau Gerechtigkeit aus Sicht des von Amartya Sen und Axel Honneth begründeten Verständnisses des „historischen Experimentalismus“ (10) zu denken ist – und inwiefern sie damit an die zentrale, liberal‑utilitaristische Vorstellung von Gerechtigkeit, wie sie John Rawls 1971 vorgelegt hat, anschlussfähig ist. Unter historischem Experimentalismus versteht Festl die Vorstellung, wonach „die Welt immer dann nicht nur interpretiert, sondern auch verändert werden muss, wenn es gelingt, eine normative Unzulänglichkeit oder gar einen normativen Defekt in ihr zu identifizieren“ (11). Festl ist sich dabei bewusst, dass selbst einer hoch entwickelten Gerechtigkeitstheorie enge Grenzen hinsichtlich ihrer tatsächlichen politischen Wirkung gesteckt sein dürften. Dennoch ist der philosophische Streifzug, den er in die pragmatistische Gerechtigkeitstheorie unternimmt und der ihn von Hegel über Rawls und Habermas bis hin zu Luhmann führt, lohnenswert. Denn er mündet unter anderem in die Einsicht, das gerade in Gerechtigkeitsfragen mit der einen, noch dazu finalen Lösung beziehungsweise Antwort auf bestehende Gerechtigkeitsdefizite nicht zu rechnen sein wird. Stattdessen sind wegen eines notwendig „diskursiven Verhältnisses zur Welt“ (377) immer nur Annäherungen, sind bloß situative Lösungen möglich. Im Politischen können diese noch dazu nur durch Verfahren wechselseitigen Austausches der Betroffenen hergestellt werden, sodass die Demokratie zur unabdingbaren Ermöglichungsstruktur des immer wieder neu auszuhandelnden Gerechten avanciert. In diesem Sinne, getragen von der bewussten Abkehr von nicht falsifizierbaren Aussagen über Gerechtigkeit, erhofft sich Festl einen „Gründerzeitboom“ (474) im Nachdenken über – wie es dann konsequent heißen müsste – Gerechtigkeiten.
{LEM}
Rubrizierung: 5.425.33 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Michael G. Festl: Gerechtigkeit als historischer Experimentalismus. Konstanz: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39191-gerechtigkeit-als-historischer-experimentalismus_46124, veröffentlicht am 17.12.2015. Buch-Nr.: 46124 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken