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Dagmar Schulze Heuling (Hrsg.)

Was Gerechtigkeit nicht ist. Politisch-philosophische Überlegungen zu Grundgedanken der Gerechtigkeit

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2015; 178 S.; 34,- €; ISBN 978-3-8487-2181-8
Dagmar Schulze Heuling geht in ihren politisch‑philosophischen Überlegungen von einer ebenso einfachen wie nachvollziehbaren Diagnose aus: Das Dilemma einer jeden Gerechtigkeitskonzeption bestehe darin, dass sie unweigerlich auf individuellen Axiomen beruhe, die nicht zwangsläufig allgemein nachvollziehbar seien. Eine „Weltformel der Gerechtigkeit“ (165), die Schulze Heuling als ein auf individueller Verantwortung beruhendes Sozialphänomen rekonstruiert, das auf Tauschgerechtigkeit, Gleichheit und Verteilungsgerechtigkeit abziele, gebe es nicht. Um dieses Dickicht um die Gerechtigkeit zu lichten, schlägt die Autorin vor, anstelle substanzieller Definitionsversuche einen anderen Weg einzuschlagen: „Ich möchte fragen, was Gerechtigkeit nicht ist, oder anders ausgedrückt: was nicht gerecht ist.“ (10) In der Summe kommt sie dabei zu dem – wenig überraschenden – Ergebnis, dass jeder Versuch der konkret‑materiellen Bestimmung dessen, was gerecht sei, früher oder später in Aporien münden müsse, da sich eben die Axiome, auf denen er beruht, in Zweifel ziehen ließen. Stattdessen favorisiert sie prozedurale Gerechtigkeitsvorstellungen. Gerechtigkeit als Verfahren, wie sie an prominentester Stelle von John Rawls in seiner berühmten Theorie der Gerechtigkeit aus liberaler Perspektive vorgeschlagen worden ist, wäre hierfür ein Beispiel. An das Vorgehen Schulze Heulings schließen sich zwei Fragen an. Zum einen hinsichtlich ihrer Diagnose: Wenn es denn stimmt, dass Gerechtigkeitsvorstellungen immer einer individuellen Axiomatik aufsitzen, die letztlich kontingent, in Abhängigkeit von der jeweiligen Erzählposition formuliert wird, dann ist die Gesamtheit der denkbaren Axiomatiken nicht begrenzbar. Weil all das, was zu Gerechtigkeit axiomatisch gedacht werden kann, nicht begrenzbar ist, was bringt es dann etwa, aus diesem unendlichen Feld von Gedanken einige auszuschließen, wenn letztlich doch eine immer noch unendliche Zahl übrig bleibt? Zum anderen stellt sich eine Frage hinsichtlich der prozeduralen Gerechtigkeitsvorstellungen: Auch diese – man denke etwa an Rawls’ Grundsätze der Gerechtigkeit – sind, nur weil sie Ergebnis einer situativen Aushandlung sind, nicht frei von Vorannahmen, oder, um es deutlicher zu sagen: Vermachtungen. Ob sich Gerechtigkeit, allzumal wenn sie politisch herzustellen ist, jedoch in Abwesenheit von Macht denken lässt, ist zu bezweifeln.
{LEM}
Rubrizierung: 5.42 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Dagmar Schulze Heuling (Hrsg.): Was Gerechtigkeit nicht ist. Baden-Baden: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39132-was-gerechtigkeit-nicht-ist_47634, veröffentlicht am 26.11.2015. Buch-Nr.: 47634 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken