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Volker Perthes

Das Ende des Nahen Ostens, wie wir ihn kennen. Ein Essay

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2015 (edition suhrkamp. Sonderdruck); 144 S.; 14,- €; ISBN 978-3-518-07442-8
In seinem politischen Essay umreißt Volker Perthes die historischen Umbrüche im Nahen und Mittleren Osten, die sich dort seit der Formierung einer zivilgesellschaftlich‑politischen Protestbewegung ergeben haben, und zeichnet die Entstehung des sogenannten Islamischen Staates nach. Er hat dabei immer drei Zeitlinien im Blick, die den Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten ihr Gepräge geben: die der Tagespolitik, die mittlere – geopolitische – Zeitlinie und hier insbesondere die Entstehung des regionalen Staatensystems nach dem Ersten Weltkrieg sowie die lange Zeitlinie soziokultureller Entwicklungen. Perthes geht vergleichend vor und berücksichtigt alle Staaten der Region immer auch mit ihren Spezifika, im Fokus steht jedoch Syrien. Die alte regionale Ordnung im Gefolge des Sykes‑Picot‑Systems, so Perthes, scheine sich aufzulösen. Eine wichtige Erklärung für den Ausbruch der Proteste und Aufstände sieht er darin, dass der bestehende jahrzehntealte Gesellschaftsvertrag der meisten arabischen Staaten brüchig geworden ist: „Die Gleichung, auf der die so oft gerühmte Stabilität langlebiger arabischer Regime beruhte, funktionierte schlicht nicht mehr: teils weil die Bevölkerung sich weiterentwickelt hatte und aktiv Rechte und Reformen einforderte, teils weil die wirtschaftlichen Möglichkeiten fehlten, um das politische Ausgleichgewicht des Autoritarismus (also soziale Leistungen – Subventionen, Ausbildung, Arbeitsplätze, Wohnungen – und wirtschaftliches Wachstum) auch für eine wachsende Bevölkerung zu sichern.“ (36) Zeitgleich sei eine Rückkehr der Ideologie zu konstatieren, die sich heute primär in einer Auseinandersetzung um die „richtige“ Form des politischen Islams manifestiere und mit einer konfessionellen, sunnitisch‑schiitischen Polarisierung einhergehe. Perthes kann derzeit niemanden ausmachen, der an einer Neuordnung der Region mitwirken würde – weder die wichtigsten internationalen Akteure aufgrund ihrer Erfahrungen in Afghanistan oder im Irak, noch die Regionalmächte. Perthes skizziert mögliche Zukunftsszenarien und entwirft Eckpunkte für eine europäische Politik. Diese sollte sich weiterhin um Konfliktlösung bemühen und im intensiven politischen Dialog mit „allen Staaten und Quasi‑Staaten zusammenarbeiten, die funktionieren und ein Mindestmaß an guter Regierungsführung und Inklusivität aufweisen.“ (142) Europa sollte, so Perthes, dabei auch schwierige Partner wie Iran und Saudi‑Arabien einbeziehen, denn: „[o]hne Entspannung zwischen Iran und Saudi‑Arabien wird es […] nahezu unmöglich sein, den Krieg in Syrien zu beenden“ (137).
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Rubrizierung: 2.63 | 4.41 Empfohlene Zitierweise: Julia Schmidt-Häuer, Rezension zu: Volker Perthes: Das Ende des Nahen Ostens, wie wir ihn kennen. Frankfurt a. M.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39112-das-ende-des-nahen-ostens-wie-wir-ihn-kennen_47688, veröffentlicht am 19.11.2015. Buch-Nr.: 47688 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken