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Marianne Kneuer / Saskia Richter, unter Mitarbeit von Melanie Rudolph

Soziale Medien in Protestbewegungen. Neue Wege für Diskurs, Organisation und Empörung?

Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2015; 234 S.; 29,90 €; ISBN 978-3-593-50300-4
Dynamische Prozesse lassen sich oft schwerlich aus der Gegenwart heraus beurteilen. Entsprechend scheuen Politikwissenschaftler dieses oft, schließlich könnte aus der Retrospektive wenige Jahre später etliches als Makulatur erscheinen. So verhält es sich auch mit der Welle von Protesten, die seit 2008 große Teile Nordamerikas, Europas und des arabischen Raumes erfasst hat. Es könnte durchaus sein, dass all die Bewegungen in einem inneren Zusammenhang zueinander stehen und sich auf die Weltfinanzkrise zurückführen lassen. Der Nexus wirkt kühn, sein Beweis steht noch aus. Doch warum sollte man nicht auf dieser Annahme aufbauend die Struktur der Proteste untersuchen? Genau das machen Marianne Kneuer und die viel zu früh verstorbene Saskia Richter in ihrem Buch zur Rolle der sozialen Medien in den Protestbewegungen. Sie blicken dabei auf die Kommunikation bei Facebook und Twitter. Mit ihrer netzrealistischen Perspektive meiden sie allzu euphorische Hoffnungen auf digitale Deliberation, verweigern sich aber auch den pessimistischen Einschätzungen, die einen Teil der US‑amerikanischen Literatur mittlerweile durchziehen. Sicher, die Fokussierung auf Twitter und Facebook mag eng sein, doch auch hier gilt, dass „dezentrale Kommunikationsknoten mit schwachen Bindungen“ (97) schwierig zu untersuchen sind. Ehe man gar keine Erkenntnisse hat, weil alles zu unübersichtlich erscheint, wirkt die Herangehensweise von Kneuer und Richter als sinnvoller, komplexitätsreduzierender Forschungspragmatismus. Die Empirie bestätigt dabei zum einen die Erwartung von Kneuer und Richter, dass „die inhaltlichen Verbindungen nicht automatisch der technischen Konnektivität folgen“ (191). Zum anderen wird der Blick auf jene Einschätzungen gerichtet, die Manuel Castells schon weit vor Web 2.0 skizziert hat, wonach analoge Sozialbeziehungen für das Funktionieren digitaler Kommunikationsräume weitaus wichtiger sind als die technologischen Potenziale der digitalen Welten. Damit wiederum erweitert sich am Ende die Perspektive nochmals auf einen Aspekt, mit dem sich die Sozialwissenschaften nach Jahren der Fokussierung auf teilrationale Ansätze wohl wieder stärker auseinandersetzen müssen: den Emotionen.
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Rubrizierung: 2.222.642.3312.3332.61 Empfohlene Zitierweise: Stephan Klecha, Rezension zu: Marianne Kneuer / Saskia Richter, unter Mitarbeit von Melanie Rudolph: Soziale Medien in Protestbewegungen. Frankfurt a. M./New York: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39057-soziale-medien-in-protestbewegungen_47580, veröffentlicht am 05.11.2015. Buch-Nr.: 47580 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken