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Katharina Raabe (Hrsg.)

Gefährdete Nachbarschaften – Ukraine, Russland, Europäische Union

Göttingen: Wallstein Verlag 2015 (Valerio 17/2015); 203 S.; brosch., 10,- €; ISBN 978-3-8353-1323-1
Während die Welt ihre Aufmerksamkeit auf die Ukraine‑Politik von Wladimir Putin richtet, geraten die Bemühungen der Ukrainer, ihren alten Staat um‑ beziehungsweise ihren neuen Staat aufzubauen, in den Hintergrund. Mit der Absicht, diese Situation zu ändern, legt die Lektorin für osteuropäische Literatur Katharina Raabe mit der Ausgabe von Valerio – dem Magazin der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung – eine Sammlung von Beiträgen unter anderem deutscher, ukrainischer, polnischer und russischer Intellektueller und Künstler vor. Sie alle setzen sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit der Frage auseinander, wie es dazu kommen konnte, dass Geopolitik und Gegnerschaft zwischen Russland und dem Westen wieder relevante Kategorien sind. Für den Lwiwer Historiker Yaroskav Hrytsak ist der Euromaidan – entgegen der vielfach geäußerten Behauptung – nicht unvorhersehbar gewesen. Absehbar waren die Ereignisse für ihn angesichts eines bereits im Rahmen des World Values Survey für die Ukraine dokumentierten und für demokratische Gesellschaften typischen Wertewandels – trotz ihrer kulturellen Nähe hätten sich Russland und die Ukraine seit dem Ende der Sowjetunion mit Blick auf die Werte in unterschiedliche Richtungen entwickelt: „Während sich die meisten Russen für Überlebenswerte entschieden, bevorzugten viele Ukrainer Werte, die für Selbstverwirklichung stehen.“ (53) So sei die Bevorzugung starker Führungsfiguren in Russland ein Ausdruck dieser Präferenz, die Forderungen der Maidan‑Protestierenden ihr genaues Gegenteil. Jarosław Kuisz und Karolina Wigura zeigen in ihrem Beitrag die polnische Perspektive auf den ukrainischen Nachbarn auf. Die Beziehungen zwischen beiden Staaten hätten erst mit dem neuen Jahrtausend für Warschau neue Bedeutung erlangt. Zur Beschäftigung von Politik und Intellektuellen mit dem Verhältnis zum östlichen Nachbarn habe auch die Auseinandersetzung mit den Verbrechen vor und während des Zweiten Weltkriegs gehört. In der breiteren polnischen Bevölkerung bestehe jedoch ein verhältnismäßig geringfügiges Interesse am Schicksal der Ukraine. Kuisz und Wigura sehen den Grund hierfür auch darin, dass „die polnische Haltung zur Ukraine nicht auf einer grundlegenden und langfristig angelegten gemeinsamen Arbeit an der kollektiven Erinnerung“ (99) gründe. Insgesamt bietet der Sammelband interessante Perspektiven und tiefergehende Analysen, die in der deutschen Diskussion häufig zu kurz gekommen oder nur oberflächlich behandelt worden sind.
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Rubrizierung: 2.614.413.62.622.23 Empfohlene Zitierweise: Christian Patz, Rezension zu: Katharina Raabe (Hrsg.): Gefährdete Nachbarschaften – Ukraine, Russland, Europäische Union Göttingen: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39047-gefaehrdete-nachbarschaften--ukraine-russland-europaeische-union_47192, veröffentlicht am 05.11.2015. Buch-Nr.: 47192 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken