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Evan Osnos

Große Ambitionen. Chinas grenzenloser Traum. Aus dem Englischen von Laura Su Bischoff

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2015; 535 S.; 24,95 €; ISBN 978-3-518-42483-4
Das Internet und die Korruption – ihre Entwicklung macht der Journalist Evan Osnos als ausschlaggebende Faktoren für die Zukunft Chinas aus. Acht Jahre hat er in Peking gelebt und mit seinen Reportagen für die Chicago Tribune, die die Basis dieses Buches bilden, einen genauen Blick auf die chinesische Gesellschaft geworfen. Ihr rapider Wandel – der wirtschaftliche Aufstieg vieler, die Herausbildung einer pluralen Meinungsvielfalt – findet zwar immer noch innerhalb der repressiven politischen Strukturen statt. Aber Osnos erkennt ein zunehmendes Gewicht der Gesellschaft und diagnostiziert den „Zusammenprall zweier Mächte: der Ambitionen und des Autoritarismus“ (19). Im ersten Kapitel – „Wohlstand“ – sieht er zunächst einigen Menschen bei „der Selbsttransformation“ (101) zu. Vorgestellt wird unter anderem Li Yifu, dessen Biografie als roter Faden im Buch immer wieder auftaucht und der schließlich für die Sackgasse steht, in die die Kommunistische Partei das Land führt: Li flüchtete als junger Mann aus Taiwan, avancierte zum führenden Wirtschaftswissenschaftler und wurde von 2008 bis 2010 zum Chefökonomen der Weltbank berufen. Nicht zu übersehen ist, dass seinen Ideen kein nachhaltiger Erfolg beschieden ist – der Vorstellung, China könnte anders als das postsowjetische Russland geordnet wirtschaftlich entwickelt werden, widersprechen die realen Vorgänge und dabei insbesondere die ausufernde Korruption. Durch sie werden nicht nur Staatsbedienstete schamlos reich, sondern die Rechte der Bürger missachtet, ihnen etwa schlecht gebaute Schulen zugemutet: Bei dem Erdbeben 2008 in Sichuan waren zahlreiche Gebäude eingestürzt und hatten mehr als 5.000 Schulkinder in den Tod gerissen. Insgesamt entzieht die Korruption dem System damit seine Legitimation und anders als in früheren Zeiten kann ein wachsender Teil der Bevölkerung dies über die sozialen Medien selbst aufdecken, mitverfolgen und kommentieren. Im zweiten Kapitel geht Osnos daher der „Wahrheit“ auf den Grund, festgemacht etwa an dem Künstler Ai Weiwei, den seine Nachforschungen über die toten Kinder von Sichuan aus Sicht des Regimes zum Dissidenten machten – und im Umgang mit den Dissidenten manifestiere sich der repressive Charakter des Regimes, so Osnos. Im dritten Kapitel „Glaube“ arbeitet er heraus, was nach dem Ende der kommunistischen Ideologie zum inneren Kompass der Gesellschaft werden könnte. Der sinnentleerte Konfuzianismus kommt nicht mehr infrage, der Buddhismus eignet sich nur für Aussteiger, aber christliche Kirchen gewinnen ebenso Anhänger wie die Gerechtigkeitstheorie des in China gefeierten US‑amerikanischen Philosophen Michael J. Sandel. Eine „weitere Option der Sinnsuche“ (463) scheint der Nationalismus zu sein. Die „jungen Konservativen im Land [bedeuten] für die chinesische Staatsführung eine neue, unberechenbare Kraft“ (464).
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Rubrizierung: 2.682.22.222.232.25 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Evan Osnos: Große Ambitionen. Frankfurt a. M.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38999-grosse-ambitionen_47132, veröffentlicht am 22.10.2015. Buch-Nr.: 47132 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken