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Rainer Hermann

Endstation Islamischer Staat? Staatsversagen und Religionskrieg in der arabischen Welt

München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2015; 144 S.; 12,90 €; ISBN 978-3-423-34861-4
Rainer Hermann, Islamwissenschaftler und Nahost‑Korrespondent der FAZ, beschäftigt sich mit dem Zustand des Nahen und Mittleren Ostens infolge der multiplen Krisen, die das Bild der Region seit dem Ende des Arabischen Frühlings fundamental verändert haben und vom Autor plakativ als einen „‚Dreißigjährigen Krieg der Araber’“ (9) gedeutet werden. Seine zentrale These zielt auf die Ursächlichkeiten der derzeitigen Situation ab. Der sogenannte Islamische Staat spielt darin lediglich als vorläufiger Endpunkt einer wesentlich länger zurückreichenden Entwicklung von Staatszerfall eine Rolle; dieser Staatszerfall hat sich als Konsequenz des Scheiterns hybrider postkolonialer Staatlichkeit ergeben. Elitenversagen, exklusive politische Institutionen und der Umstand, dass die Staaten der Region weder als Solidargemeinschaft noch als Friedensstifter in den ethnisch, sozial und religiös heterogenen Gesellschaften gewirkt haben, führten Hermann zufolge letztendlich zum katalytischen Ereignis der arabischen Revolutionen, an deren Endpunkte entweder „Diktatur oder Bürgerkrieg“ (34) standen. Während er im Sinne des letzteren Szenario das Scheitern des Iraks auf die amerikanische Invasion und die Politik der Ausgrenzung Ministerpräsident Nuri al‑Malikis gegenüber den Sunniten zurückführt, hätte der Bürgerkrieg in Syrien nach Ansicht von Hermann verhindert werden können, „hätte Assad auf die ersten Proteste mit Reformen geantwortet“ (40). Aufstieg, Entwicklung und Funktionslogik des IS – sowie der Kampf seiner Gegner gegen seine Ausbreitung – wird von Hermann im umfangreichsten Kapitel des Buchs beschrieben. Hieran anknüpfend führt Hermann seine These eines Dreißigjährigen Kriegs der arabischen Welt aus, in dem – so viel Hinweis sei erlaubt – auch Iran eine zentrale Rolle spiele. Hermann greift im gleichen Zug allerdings auch Huntington auf, um einen „Clash of Civilizations, aber weniger zwischen den Zivilisationen der Welt als innerhalb einer, der islamischen“ (110), zu diagnostizieren. Unter dem Strich setzt der Autor mit seiner gut zu lesenden Analyse einen angenehmen Kontrapunkt zu aufmerksamkeitsheischenden journalistischen Publikationen der jüngeren Zeit, die den Islamischen Staat als irdische Manifestierung des Bösen darzustellen versuchen. Indem er von tiefergreifenden, gesellschaftlich‑politischen Dynamiken als letztendliche Hintergründe für die Entwicklung der Region ausgeht, liefert er einen wesentlich differenzierten Erklärungsansatz. Dies heißt dabei nicht, dass Hermann nicht auch ein düsteres – und leider zutreffendes – Bild der Region zeichnet.
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Rubrizierung: 2.632.254.41 Empfohlene Zitierweise: Christian Patz, Rezension zu: Rainer Hermann: Endstation Islamischer Staat? München: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38926-endstation-islamischer-staat_47041, veröffentlicht am 01.10.2015. Buch-Nr.: 47041 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken