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Matthias Gillner / Volker Stümke (Hrsg.)

Kollateralopfer. Die Tötung von Unschuldigen als rechtliches und moralisches Problem

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2014 (Studien zur Friedensethik 49); 258 S.; 46,- €; ISBN 978-3-8487-1908-2
Der Begriff des Kollateralschadens ist aufgrund seiner wirklichkeitsverstellenden Wirkung bereits 1994 zum Unwort des Jahres gekürt worden. Auch vor diesem Hintergrund wählen die Theologen Matthias Gillner und Volker Stümke für den von ihnen herausgegebenen Sammelband den Begriff der Kollateralopfer, wenn sie sich mit der Tötung von Unschuldigen aus rechtlicher wie moralischer Perspektive auseinandersetzen. Die Autorinnen und Autoren, unter anderem Offiziere der Bundeswehr, Rechtswissenschaftler und Theologen, behandeln das Problem der Kollateralopfer entlang von vier Dimensionen: der militärischen Praxis, des juristischen Umgangs, des Problems der moralischen Rechtfertigung und der humanitären Begleitung. Der letzte Punkt bezieht sich dabei nicht bloß auf Fragen wie die von Maria Scharlau nach der Entschädigung von zivilen Opfern bewaffneter Konflikte, sondern auch auf die psychischen Auswirkungen von Einsätzen für beteiligte Soldaten. Hartwig von Schubert fragt hierzu beispielsweise „nach der Resilienz in und nach Gefechten mit hohem Risiko von incidental losses“ (158) – also nach dem Umgang von Soldaten mit den (potenziellen) Folgen von Kollateralopfern. Er schlüsselt dabei die Rollen von Ausbildern, Psychologen, Ärzten und Seelsorgern auf; sein besonderes Augenmerk liegt allerdings auf theologischen Erwägungen zum Umgang mit Schuld und Ohnmacht. Die Kollateralopferregel des Kriegsvölkerrechts ermögliche „einer ausgewählten Personengruppe – den Kombattanten – Absolution und Vergebung für barbarische Handlungen, die sie im Dienst und in den schicksalhaften Verstrickungen eigentlich zivilisierter Gesellschaften verübt haben“. Jenseits dessen kommt es nach Ansicht von Hartwig von Schubert auch auf einen „Katalog spezifisch soldatischer Tugenden“ (170) an, zu denen neben der Autorisierung und der Begründung auch die Verhältnismäßigkeit einer Gewaltanwendung gehört. Wie eine konkrete Einschätzung von potenziellen Kollateralopfern in der Praxis aussehen kann, zeigt Björn Werres anhand des Collateral‑Damage‑Estimation‑Prozesses, wie er von der NATO vor einem Waffeneinsatz ihrer Luftstreitkräfte durchgeführt wird. Leider sehr knapp beleuchtet Werres einen Prozess, dessen zuverlässige Durchführung entscheidend von der „Bereitstellung von Aufklärungssystemen, Präzisionsbewaffnung und Fachpersonal, um die politischen Vorgaben militärisch auch erfüllen zu können“ (49), abhänge. Insgesamt sind es die unterschiedlichen Perspektiven – militärisch‑praktisch, juristisch, moralisch und ethisch – auf das Problem der Kollateralopfer sowie die vielfältigen Versuche der Bewältigung durch Opfer und Täter, die den Sammelband auszeichnen.
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Rubrizierung: 4.414.424.34.12.324 Empfohlene Zitierweise: Christian Patz, Rezension zu: Matthias Gillner / Volker Stümke (Hrsg.): Kollateralopfer. Baden-Baden: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38923-kollateralopfer_46954, veröffentlicht am 01.10.2015. Buch-Nr.: 46954 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken