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Bernd Estel

Weder Demokratie noch Freiheit. Zur Herrschaft des "Guten" in Deutschland

Münster: Edition Octopus im Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat 2014; 300 S.; 16,70 €; ISBN 978-3-95645-264-2
Bernd Estels Studie ist getragen von einer vorgeblichen Sorge um die Verfasstheit und die Verfassung der Demokratie in Deutschland, die auf gesamtstaatlicher Ebene nicht oder zumindest nicht hinreichend ausgeprägt sei. Um dieses Demokratiedefizit zu verschleiern, bedürfe es einer großen Erzählung – Estel spricht von einer Ideologie –, die er in einer spezifischen Form politischer Korrektheit verortet. Diese Sorge betrifft also die tatsächliche Qualität der öffentlichen Meinung, die unterausgeprägt sei und der Estel ein „man wird doch wohl noch sagen dürfen...“ entgegenhält. Was ist von dieser Gemengelage zu halten? – Wenig, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Wenn Estel etwa die „populärkulturelle Hinwendung zu den USA“ (245) beklagt, die Deutschland zu einer „kulturellen Halbkolonie“ (246) der Vereinigten Staaten mache, dann ist das für einen habilitierten Soziologen einfach nicht hinreichend differenziert und damit ungenügend. Man würde sich wünschen zu erfahren, welche Teile der deutschen Gesellschaft da gemeint sind, die von welchen Einflüssen getrieben welches Verhalten unkritisch übernommen haben – und warum das in welcher Hinsicht schädlich für sie gewesen ist. Derlei Fragen stellen zu können, setzt allerdings voraus, dass die behaupteten Sachverhalte durch Estel empirisch belegt würden – und auch hier Fehlanzeige. Zudem interagieren seiner Ansicht nach Kollektivakteure – die Deutschen und die Amerikaner – in unschöner, oder sollte man in Estels Diktion vielleicht eher sagen: undeutscher Art und Weise miteinander und deswegen, das ist der vermeintliche politische Clou des Ganzen, ist die repräsentative Demokratie in Deutschland einfach keine. Auch den letzten Teilsatz der Diagnose kann man gut und gerne glauben und ihn noch besser mit aktueller Literatur und einschlägigen Studien belegen – alleine, passende Verweise, etwa zur Postdemokratiedebatte, fehlen. Mit Blick auf Estels Wunsch, den er zum Ende des Bandes vorträgt, nämlich die geneigten Leser „auf einer Demonstration zu treffen“, auf der man sich „gemeinsam für die Verwirklichung der Demokratie“ einsetzen und dabei „Spaß“ (295) haben könne, beschleicht den weniger geneigten Leser die Befürchtung, dass Estels Demokratenfraktion, wenn es sie denn gäbe, gar nicht auf der demokratischen Seite stehen würde. Allerhöchstens auf der populistischen, vielleicht sogar auf der nationalkonservativen, um es zurückhaltend zu formulieren.
{LEM}
Rubrizierung: 2.32.322.35 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Bernd Estel: Weder Demokratie noch Freiheit. Münster: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38902-weder-demokratie-noch-freiheit_47380, veröffentlicht am 24.09.2015. Buch-Nr.: 47380 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken