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Marvin Chlada / Andreas Gwisdalla

Charles Fourier. Eine Einführung in sein Denken

Aschaffenburg: Alibri Verlag 2014; 132 S.; 10,- €; ISBN 978-3-86569-180-4
Gelobt wurden die Schriften des Utopisten und frühsozialistischen Gnostikers Charles Fourier von so prominenten Gesellschaftskritikern wie Theodor Adorno, Herbert Marcuse, Michel Foucault und sogar Friedrich Engels. Fourier zähle „zu den drei große[n] Emanzipatoren des Begehrens“ (23) und habe wesentliche Beiträge zur Frage, „wie Triebe und Begehren sich innerhalb der Ökonomie selbst“ (25) entfalten, vorweggenommen. Dennoch beschränkt sich dieses Lob bei genauerem Hinsehen auf ein bloßes Wohlwollen gegenüber der Phantasie Fouriers – der Nachweis eines tatsächlichen Einflusses des utopischen Denkens auf diese Autoren vermag Marvin Chlada und Andreas Gwisdalla nicht gelingen. Auch das Fehlen einer kritischen Einordnung der politiktheoretischen Relevanz seines Werks reduziert das Unterfangen des Bandes tendenziell auf eine rein literarische Angelegenheit. Einzig mit Ernst Bloch ist noch erkennen, dass Fourier als einer der Ersten Gesellschaft nicht nur aus der Distanz einer entfernten Utopie, sondern „als Degenerationsprodukt an Ort und Stelle“ (89) theoretisiert – ein Standard, der heute praktisch von allen Kritikformen eingehalten wird. Dabei war Fouriers Theorie durchaus eine punktuell ernst zu nehmende Herausforderung an den Materialismus: Die Einsicht, dass auch die Ergebnisse einer unmittelbaren empirischen Anschauung der Natur in hohem Maße abhängig von der Verfassung der umgebenden Gesellschaft sind, antizipiert bereits in rudimentärster Form die konstruktivistische Wende weg von der dialektischen Theorie in den Sozialwissenschaften. Leider wird die Gelegenheit einer vergleichenden Gegenüberstellung dieser Alternativen anhand von Fouriers Material verpasst. Auch eine Abwägung von Fouriers Schwanken zwischen Formkritik des Kapitalismus und strukturell antisemitischer Kritik der Kaufleute als „Piraten“ und „Aasgeier“ (38), zwischen Kritik traditioneller Geschlechterhierarchien einerseits und Verteidigung von Sexualstraftätern als „junger Phönix“ (61) andererseits findet nicht statt. Viel zu wenig, nämlich nur statistische Eckdaten, wird über die wenigen Versuche, Fouriers „Weltformel“ (28) der fünf kosmischen Bewegungen – soziale, animalische, organische, materielle und aromatische – in die Praxis umzusetzen, berichtet. Die kurze, im Durchschnitt nur 15‑monatige Lebenszeit der wenigen Modellversuche einer „Phalanx“ oder eines „Phalansteriums“ (80) als sozialistische Kommune – wie sie der Meister selbst nie zu Gesicht bekommen sollte – wird nicht analysiert. So bleibt die tatsächlich Wirkung Fouriers weiterhin im Dunklen.
{FG}
Rubrizierung: 5.33 Empfohlene Zitierweise: Florian Geisler, Rezension zu: Marvin Chlada / Andreas Gwisdalla: Charles Fourier. Aschaffenburg: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38730-charles-fourier_47456, veröffentlicht am 06.08.2015. Buch-Nr.: 47456 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken