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Mark Lilla

Der hemmungslose Geist. Die Tyrannophilie der Intellektuellen. Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Liebl

München: Kösel Verlag 2015; 223 S.; hardc., 19,99 €; ISBN 978-3-466-37128-0
Wer die Geschichte der Intellektuellen im 20. Jahrhundert schreibt, kann nicht nur bei ihren zeitkritischen Diagnosen stehen bleiben, sondern muss über ihre Leitbilder und Utopien sprechen, vor allem aber über ihre Verklärung politischer Wirklichkeit. Spätestens seit Julien Bendas 1927 erschienenem Essay „Verrat der Intellektuellen“ gehört die Verarbeitung von Täuschung und Enttäuschung intellektuellen Wissens und Meinens zum Repertoire der politischen Auseinandersetzung. Ob in diesen Mustern auch eine Ideengeschichte dieses Jahrhunderts geschrieben werden kann, steht indes auf einem anderen Blatt. Denn wo politischer Irrtum aufhört und blinde Ideologie beginnt, kommt es nicht nur auf die Beobachtenden an, sondern ist auch immer eine Frage der Informationsdifferenz zwischen denen, die sich politisch engagieren, und denjenigen, die etwas erhaben rückblickend urteilen. Jedenfalls hat sich der an der Columbia University lehrende Ideenhistoriker Mark Lilla dazu entschlossen, einige der namhaftesten Theoretiker so zu präsentieren: Martin Heidegger, Carl Schmitt, Walter Benjamin, Alexandre Kojève, Michel Foucault und Jacques Derrida. Über die individuelle Auswahl und Bewertung mag man streiten: Was sagt das komplexe Verhältnis von Martin Heidegger, Karl Jasper und Hannah Arendt über deren politisches Denken aus? War Derrida wirklich ein heimlicher Marxist, dem ein zunehmend verzweifelter Illiberalismus innewohnt? Lassen sich Foucaults politische Äußerungen als bloßer Ästhetizismus abtun, dessen Hybris mit dem Tod als AIDS‑Kranker im Hospital endete? Wichtiger ist ohnehin die Frage: Weshalb urteilen Intellektuelle – oder Philosophen, beide Begriffe werden nicht trennscharf verwendet, auch wenn es Lilla so glauben machen möchte – politisch mitunter so naiv, ja entwickeln das, was der Autor Tyrannophilie nennt? Lillas Antwort ist streng normativ‑ahistorisch: Mit Platon im Rücken erscheint ihm der Intellektuelle als Verführter, der den Wunsch (Eros) zur Weltgestaltung hegt, ihn aber nicht kontrollieren könne. Dem Intellektuellen – und das soll ihn nun vom Philosophen unterscheiden – „fehlt es an Demut und pädagogischer Anleitung“ (203). Spätestens an dieser Stelle wird Lilla ganz allgemein. Der Verrat der Intellektuellen ist keine Episode des 20. Jahrhunderts, sondern die ewige „Versuchung, unsere höchste Verantwortung preiszugeben, nämlich die, den Tyrannen in uns zu bekämpfen“ (208). Lässt sich von einer so abstrakten Ebene aus Ideengeschichte betreiben? Nicht nur diese Frage bleibt im Raum stehen, sondern auch zwei daran anknüpfende: Welcher Philosoph hat je so gehandelt und, noch wichtiger: Wann war ein solch unschuldiges Handeln je möglich?
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Rubrizierung: 5.15.46 Empfohlene Zitierweise: Frank Schale, Rezension zu: Mark Lilla: Der hemmungslose Geist. München: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38702-der-hemmungslose-geist_47245, veröffentlicht am 30.07.2015. Buch-Nr.: 47245 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken