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Wolfgang Merkel (Hrsg.)

Demokratie und Krise. Zum schwierigen Verhältnis von Theorie und Empirie

Wiesbaden: Springer VS 2015; 506 S.; softc., 59,99 €; ISBN 978-3-658-05944-6
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass heute im Kontext breit diskutierter Befürchtungen post‑demokratischer Tendenzen unter anderem von Colin Crouch die 1960er‑ und 1970er‑Jahre zur eigentlichen demokratischen Phase der Bundesrepublik erklärt werden, jene Jahre also, in denen politiktheoretische Krisenanalysen hohe Konjunktur hatten. Für Wolfgang Merkel ist diese Beobachtung ein weiteres Indiz dafür, dass die Rede von (Demokratie‑)Krise in etlichen Zeitdiagnosen kaum systematischen, empirisch fundierten Analysen standhält. Begründen lässt sich dies teils damit, dass die jeweils herangezogenen Referenzmodelle von Demokratie entweder normativ unterbestimmt (minimalistische Modelle) oder überbestimmt (maximalistische Modelle) sind, vor allem aber, dass das verwendete Krisenkonzept selbst vielfach analytisch nicht ausreichend definiert ist. In deutlicher Abgrenzung von einer eher beliebigen Krisenrhetorik verfolgen die Autorinnen und Autoren in diesem Band mit Mitteln der empirischen Demokratieforschung eine methodisch differenzierte Untersuchung von Krisentendenzen. Von thematisch vergleichbaren Publikationen hebt sich der gelungene Sammelband mindestens in zweierlei Hinsichten ab. Zum einen orientieren sich die Beiträge an dem Konzept der embedded democracy, das systematisch interne und externe Herausforderungen der Demokratie unterscheidet. Zum anderen sind die Arbeiten aus dem Forschungszusammenhang der Abteilung Demokratie und Demokratisierung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) hervorgegangen. Den Schwerpunkt des Bandes bilden Partialanalysen, die sich – überwiegend quantitative Analysen der alten OECD‑Länder anhand vergleichbarer Datensätze – mit möglichen Krisenerscheinungen in den drei Dimensionen Partizipation, Repräsentation und Regieren befassen. Das Schlusskapitel des Herausgebers resümiert mit Blick auf die übergreifenden Fragen – „Wer partizipiert, wer wird repräsentiert, wer regiert?“ (33) – die Befunde der Einzelstudien in sehr inspirierender Weise. Zwar zeigt die Empirie keine dramatischen Verschlechterungen der demokratischen Qualität, wie von Thesen der Postdemokratie postuliert, aber in allen Dimensionen der embedded democracy sind Erosionserscheinungen zu beobachten. Wohl hat die kulturelle Sensibilität der reifen Demokratien zugenommen (Gleichberechtigung, Minderheitenrechte), zugleich jedoch haben Institutionen und politische Eliten nicht verhindert, dass sich die zunehmende soziale Ungleichheit immer stärker in politische Ungleichheit transformiert.
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Rubrizierung: 2.22.222.215.414.432.32 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Wolfgang Merkel (Hrsg.): Demokratie und Krise. Wiesbaden: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38692-demokratie-und-krise_46782, veröffentlicht am 30.07.2015. Buch-Nr.: 46782 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken