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Kurt Bohr

Hartz IV ist kein Schicksal. Wege aus dem sozialen Abseits

Bonn: Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger 2015; 143 S.; brosch., 12,90 €; ISBN 978-3-8012-0465-5
„Der soziale Halt geht tendenziell verloren, die gewohnte Teilhabe am Gemeinschaftsleben in Freizeit, Kultur und Sport geht zurück“ und arbeitslose Hartz‑IV‑Empfänger „kommen sich nutzlos vor“ (73), beschreibt Kurt Bohr, ehemaliger Chef der Saarländischen Staatskanzlei und Herausgeber des Kulturmagazins Opus, das Grundproblem des Arbeitslosengeld II‑Systems. Dabei definiert er zunächst die Ursachen mithilfe umfangreicher quantitativer Statistiken bezüglich des deutschen Arbeitsmarktes und der Entwicklung sozialer Ungleichheit einerseits und ethnografisch‑qualitativer Interviews zu den Lebenslagen von Hartz‑IV‑Empfängern andererseits. Bohr gelingt eine (wirtschafts‑)politische Analyse mit dem Ergebnis, dass Armut reproduziert wird, insbesondere bei sogenannten Langzeitarbeitslosen, deren Anteil an allen Arbeitslosen weiterhin kontinuierlich steigt. Zudem verstärkt Hartz IV die Stigmatisierung sowie Isolation der Betroffenen und – hierin liegt das weitere Vorgehen begründet – führt zu einer vermehrten Ausgrenzung, also zu Nicht‑Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Anhand dieser Ergebnisse legt Bohr ein neues Konzept zur Bekämpfung der durch Hartz IV ausgelösten sozialen Stigmatisierung und Reproduktion von Armut vor. Dabei hält er zwei Faktoren für zentral: erstens eine solide allgemeine Schulbildung sowie eine gründliche Vorbereitung auf die Berufswelt und zweitens den Aufbau des „Dritten Arbeitsmarktes“, der Menschen ohne ausreichende Berufsqualifikation eine würdige Lebensperspektive ermöglicht. Im Mittelpunkt steht dabei, anders als bei den Qualifizierungs‑ und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des „Zweiten Arbeitsmarktes“, dass aktive Eingliederungsleistungen mit passiven Regelleistungen und den Kosten der Unterkunft kombiniert werden, um sozialversicherte (unbefristete) Arbeitsverhältnisse zu schaffen. (Langzeit‑)Arbeitslose erhielten demnach eine reguläre Beschäftigung, von der die Allgemeinheit profitieren würde. Denn der Dritte Arbeitsmarkt würde Dienstleistungen beinhalten, die aus Rentabilitätsgründen auf dem klassischen Arbeitsmarkt nicht mehr vorgehalten werden. Mögliche Einsatzfelder sieht Bohr in Krankenhäusern sowie der Altenpflege, der Natur‑ und Landschaftspflege oder sogar in Wissenschaft und Forschung. Auch wenn mit den zwei Faktoren Bildung und Arbeit auf die klassische (sozialdemokratische) Integrationsvorstellung zurückgegriffen wird, entwickelt Bohr mit der konkreten Konzeption des Dritten Arbeitsmarktes eine Idee weiter, die in diesem Buch eine fundierte wirtschaftspolitische Einordnung erhält und die Diskussion bereichert.
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Rubrizierung: 2.342 Empfohlene Zitierweise: Christian Heuser, Rezension zu: Kurt Bohr: Hartz IV ist kein Schicksal. Bonn: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38671-hartz-iv-ist-kein-schicksal_46945, veröffentlicht am 23.07.2015. Buch-Nr.: 46945 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken