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Anita Krätzner (Hrsg.)

Hinter vorgehaltener Hand. Studien zur historischen Denunziationsforschung

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2015 (Analysen und Dokumente 39); 180 S.; 12,99 €; ISBN 978-3-525-35081-2
Anita Krätzner erläutert in ihrer Einleitung, wie das Ende der DDR zwar einen „fruchtbaren Effekt für die – bis dahin eigentlich nicht existente – Denunziationsforschung“ (9) hatte, diese sich jedoch in den 1990er‑ und 2000er‑Jahren zunächst auf die NS‑ und frühe Nachkriegszeit konzentrierte. Ferner werde die DDR bis heute oft auf das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und dessen „IMs“ reduziert; so werde die Vergleichbarkeit erschwert. Als übergreifendes Problem erweist sich die Begriffsunschärfe: Was genau ist eine Denunziation? So appelliert Doris Danzer in ihrem Aufsatz über deutsche Kommunisten im Exil sowie in den Aufbaujahren der DDR dafür, bei der Analyse historischer Denunziationspraktiken den Kontext nicht außer Acht zu lassen – im Fall der DDR‑Gründergeneration etwa die „positive Umwertung denunziatorischen Verhaltens zugunsten der Partei […] nach ideologischen Kriterien“ (94). So nachvollziehbar dies ist, so gewagt erscheint es, allgemeine Aussagen, gar „eine Tendenz für Verhaltensmuster“ (96) aus zwei Fallbeispielen abzuleiten. Mehrere Beiträge bleiben in dieser Art schlaglichtartig an Einzelfällen haften; einige stützen sich dabei zumindest auf die intensive Auswertung von Akten und Berichten. In der Mehrzahl der Beiträge geht es um die DDR. Auch wenn fast alle Autor_innen Historiker_innen sind, ist der Band politikgeschichtlich interessant – vor allem, da oft die innerparteiliche oder Herrschaftspraxis adressiert wird. Hedwig Richter stellt dabei der Verengung auf Stasi‑IMs das bürokratische Rapportwesen, etwa in Unternehmen, LPGs oder Universitäten, entgegen: Es war dieses Berichtswesen abseits des MfS, das „den DDR‑Alltag mit unauffälliger Macht“ durchdrang, wurde es doch „als bürokratische Praxis […] von den Bürgern als legitim empfunden und erwies sich dadurch als umso effektiver“ (127). Die Berichte versorgten das Regime mit Informationen aus der breiten Bevölkerung, die ihr Gewissen nicht durch Kontakt zum MfS belasten musste. Richter spricht von einem „Image der Harmlosigkeit“ (131), das mit einer „zunehmenden Gewöhnung der Bevölkerung an diktatorische Herrschaftspraxis“ (135) für die Beständigkeit des DDR‑Regimes mit ausschlaggebend gewesen sei – wichtige Anknüpfungspunkte für die politikwissenschaftliche Forschung! Der Band ist aus einem Workshop im November 2012 zur historischen Denunziationsforschung am Bildungszentrum der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes für die DDR hervorgegangen, bei dem die Herausgeberin tätig ist.
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Rubrizierung: 2.252.242.3122.3142.352.52.61 Empfohlene Zitierweise: Frank Kaltofen, Rezension zu: Anita Krätzner (Hrsg.): Hinter vorgehaltener Hand. Göttingen u. a.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38669-hinter-vorgehaltener-hand_46930, veröffentlicht am 23.07.2015. Buch-Nr.: 46930 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken