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Joschka Fischer

Scheitert Europa?

Köln: Kiepenheuer & Witsch 2014; 160 S.; 19,99 €; ISBN 978-3-462-04623-6
Die Titelfrage dieses Bandes, einer Mischung aus Essay und Denkschrift, ist durchaus nicht nur rhetorisch gemeint. Joschka Fischer, von 1998 bis 2005 Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, beschreibt nachdrücklich die rapide Erosion, die das europäische Projekt vor allem seit der Finanz‑ und Wirtschaftskrise 2008 erfahren hat. Von den Verheißungen der Wendejahre 1989/1990 und der Euroeinführung 2002 sei wenig geblieben. Die Euro‑Rettungsversuche offenbarten einerseits in der Währungsunion einen massiven Verteilungskonflikt zwischen den nördlichen und südlichen Ländern. Andererseits breite sich – weil es „an der notwendigen Staatlichkeit zur Stabilisierung der Währungsunion fehlte und fehlt“ (30) – eine zunehmende Euroskepsis in der Öffentlichkeit ebenso wie unter politischen Akteuren aus; der Zulauf, den antieuropäische und nationalistische Gruppierungen erhielten, sei dafür nur ein Indikator. Diese Erosionstendenzen sind für Fischer primär durch politische – und nicht ökonomische – Faktoren verursacht. So haben seiner Ansicht nach die Jahre nach 2008 eigentlich eine doppelte Krise offengelegt: zum einen eine aus der kontraproduktiven Machtverteilung zwischen Mitgliedstaaten und EU hervorgehende Souveränitätskrise, zum anderen eine mindestens ebenso gravierende Strategiekrise, die sich vor allem am Fehlen einer integrierten außen‑ und sicherheitspolitischen Position der EU (unter anderem gegenüber dem Aufflammen russischer Großmachtpolitik) zeigt. Die aus diesen Krisen zu ziehenden Lehren heißen für Fischer: Ohne „volle politische Integration zumindest der Eurogruppe in der kommenden Dekade“ (154) wird die EU vom Scheitern bedroht bleiben. Da institutionelle Restriktionen eine einstimmige Änderung des Europäischen Vertrags verhinderten, sollten die Mitgliedstaaten der Eurogruppe auf Basis zwischenstaatlicher Verträge gleichsam als Vorhut für die gesamte EU zum Subjekt der politischen Einigung werden und durch die Übertragung von nationalstaatlicher Souveränität und Legitimität die Bildung einer Regierung der Eurozone betreiben. Zur Sicherung der Gründungslegitimation wäre ein entsprechendes Referendum in allen beteiligten Staaten unverzichtbar.
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Rubrizierung: 3.12.643.2 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Joschka Fischer: Scheitert Europa? Köln: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38481-scheitert-europa_45772, veröffentlicht am 04.06.2015. Buch-Nr.: 45772 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken