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Catharina Schmalstieg

Prekarität und kollektive Handlungsfähigkeit. Gewerkschaftsarbeit im Niedriglohnsektor. Das Beispiel USA

Hamburg: VSA 2015 (Rosa Luxemburg Stiftung); 286 S.; 16,80 €; ISBN 978-3-89965-638-1
Soziolog. Diss. Jena; Begutachtung: K. Dörre. – „‚Gewöhn dich daran, in diesem Job gibt es keine Würde‘“ (68). – Solche vielsagenden und schockierenden Sätze fördert Catharina Schmalstieg in ihrer breit angelegten empirischen Studie über die prekären Arbeitsbedingungen in privaten US‑amerikanischen Sicherheitsfirmen zutage. Sie analysiert die objektiven, organisatorischen Handlungsperspektiven der Gewerkschaften in den USA einerseits sowie die subjektive, individuelle Macht der Lohnabhängigen andererseits. Welche Handlungsräume bestehen? Welche werden genutzt, welche liegen brach? Die Autorin verfolgt mit dieser Untersuchung das Ziel, Konzepte für diejenigen „Erneuerungsversuche der Gewerkschaften“ (17) zu entwickeln, die im englischsprachigen Raum als „Labor Revitalization Studies“ (26) bekannt sind und sich dadurch auszeichnen, eine „Vielzahl von Strategien und Machtquellen“ (31) zu berücksichtigen anstatt vorschnelle Reduktionen vorzunehmen – zurecht, denn wie Schmalstieg herausstellt, findet „Gewerkschaftspraxis als Kampf im Ideologischen statt“ (31). Tatsächlich sind Errungenschaften wie das Recht auf Urlaubstage, die Reduzierung der Arbeitszeit, Krankenversicherungen und vieles mehr nicht so leicht aus einem rein ökonomisch vermittelten Interessenkonflikt heraus, sondern viel eher als Ergebnis eines Ringens um die Verwirklichung bürgerlicher Ideale zu erklären. Auch diese Erklärung gerät aber an ihre Grenzen, wenn der Komplex umgekehrt eindimensional auf den Kampf um politische Vorherrschaft eingedampft wird. Dieser umgekehrten Reduktion kann sich Schmalstieg kaum entziehen. Die Analyse ist damit zwar gramscianisch im besten Sinne, aber entschieden nicht marxistisch, weil von der „Erschließung kooperativ‑politischer Machtressourcen“ (217) aus nur noch wenig mit einem qualitativen Sprung über den generellen Charakter von Lohnarbeit hinausweist. Das ändert allerdings nichts an dem überzeugend dargestellten empirischen Befund, dass die Fortschritte in den beobachteten Arbeitskämpfen nur sehr unwahrscheinlich hätten erreicht werden können, ohne dabei auf „‚geliehenes‘ politisches Kapital“ (215) beziehungsweise „geliehene Macht“ (260) zurückzugreifen. Die Reformbewegung der Gewerkschaften müsse deshalb die Bereitschaft entwickeln, den Kampf auch auf einer kulturell‑ideologischen Ebene aufzunehmen.
{FG}
Rubrizierung: 2.642.22 Empfohlene Zitierweise: Florian Geisler, Rezension zu: Catharina Schmalstieg: Prekarität und kollektive Handlungsfähigkeit. Hamburg: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38420-prekaritaet-und-kollektive-handlungsfaehigkeit_46743, veröffentlicht am 13.05.2015. Buch-Nr.: 46743 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken