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Rayk Einax

Entstalinisierung auf Weißrussisch. Krisenbewältigung, sozioökonomische Dynamik und öffentliche Mobilisierung in der Belorussischen Sowjetrepublik 1953-1965

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2014 (Historische Belarus-Studien 2); 443 S.; brosch., 64,- €; ISBN 978-3-447-10275-9
Geschichtswiss. Diss. Jena; Begutachtung: J. von Puttkamer, T. M. Bohn. –Weißrussland wird oft als die letzte Diktatur Europas bezeichnet – eine Ahnung von den Voraussetzungen dieser Gegenwart verspricht ein Blick in die Vergangenheit. Und tatsächlich filtert Rayk Einax ein starkes Bedürfnis nach sozialer Sicherheit heraus, das heute noch die politische Kultur prägt. Entstanden ist es in unruhigen Zeiten, geprägt vom Zweiten Weltkrieg, von Stalinismus wie Poststalinismus und zugleich von der Zwitterposition, die Weißrussland vor 1991 mit den anderen Sowjetrepubliken teilte, wie Einax rekapituliert: Laut Verfassung waren sie unabhängig, wurden aber von der Kommunistischen Partei zentralistisch regiert. Der Untersuchungszeitraum setzt 1953, Stalins Todesjahr, ein. Hervorzugeben ist, dass die Bestrebungen der weißrussischen KP, ihre Herrschaft trotz einiger Änderungen (die zunächst nur im Westen als Entstalinisierung bezeichnet wurden) erneut zu festigen, nicht einfach nacherzählt werden. Stattdessen werden wichtige Entwicklungen in der Zeit bis zum nächsten großen personellen Wechsel in der KP‑Führungsriege thematisch eingegrenzt nachgezeichnet. Dabei zeigt sich, dass es der KP gelang, den „Tauwetter“‑Diskurs zu steuern (Kapitel 5), wozu auch der Umgang mit der stalinistischen Vergangenheit in Gestalt derjenigen gehörte, die aus dem GULag entlassen wurden (Kapitel 6) – ihnen wurde mit Misstrauen begegnet, besonders „gefürchtet war das vermeintliche Einsickern von polnischen Nationalisten und katholischen Eiferern“ (202) in die westlichen Randgebiete, die vormals zu Polen gehört hatten. Diejenigen, die zuvor an den stalinistischen Verhaftungen beteiligt gewesen waren, wurden nun nur ihrer Ämter enthoben, wenn dies zu anderen Kalkülen passte. Aufschlussreich sind weiterhin die „Annäherungen an eine Gesellschaftsgeschichte“ (Kapitel 7), Einax identifiziert die Wahlen trotz ihrer Unfreiheit als Gelegenheit für die Bürger, sich über einzelne Funktionäre und vor allem über den Mangel im Alltag zu beschweren, entweder auf Wahlversammlungen oder über einen Brief, der mit dem Wahlzettel in die Urne gesteckt wurde. Das letzte große Kapitel ist der Unterdrückung der Glaubensgemeinschaften gewidmet. Es zeigt sich vor allem im ländlichen Raum ein starkes Beharren der Menschen auf ihren Traditionen und ihrem Glauben. Mit den ausgewählten Themen macht der Autor die Bruchstellen sichtbar, an denen sich nach dem Ende des stalinistischen Terrors zeigte, dass die von der KP angestrebte Einheit ihres Systems mit der Gesellschaft unerreichbar bleiben sollte.
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Rubrizierung: 2.622.25 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Rayk Einax: Entstalinisierung auf Weißrussisch. Wiesbaden: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38364-entstalinisierung-auf-weissrussisch_46776, veröffentlicht am 30.04.2015. Buch-Nr.: 46776 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken