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Philipp Sandermann (Hrsg.)

The End of Welfare as We Know It? Continuity and Change in Western Welfare State Settings and Practices

Opladen u. a.: Barbara Budrich Publishers 2014; 138 S.; 19,90 €; ISBN 978-3-8474-0075-2
Die Frage im Titel ist Programm: Im Zentrum des Bandes steht die Auseinandersetzung mit den Tendenzen, jüngere sozialpolitische Entwicklungen einseitig als Abbau sozialstaatlicher Leistungen, Post‑Wohlfahrtsstaat oder gar Ende des Wohlfahrtsstaates zu bezeichnen. Dabei soll diese Entwicklung an sich gar nicht in Abrede gestellt werden, vielmehr steht sie in ihrer Ausdeutung als fragende Hypothese im Raum. Das zentrale Problem sei nämlich, so legt Philipp Sandermann in seinem einleitenden Beitrag dar, dass die klassischen Forschungsdesigns gar nicht mehr in der Lage seien, einer sich wandelnden und zunehmend ausdifferenzierten Sozialpolitik Rechnung zu tragen. Vor allem die traditionelle Unterscheidung zwischen Sozialhilfeausgaben zum Zweck der Armutsbekämpfung einerseits und Sozialversicherungen für eine wohlhabendere Mittelschicht andererseits sei nicht mehr angemessen und müsse kritisch reflektiert werden. Die Autor_innen des Buches bevorzugen deshalb auch den Begriff „welfare practices“, um den Blick über die finanziellen und rechtlichen Institutionen hinaus auch auf die konkreten Umsetzungspraktiken im sozialpolitischen Alltag richten zu können. Dass dies durchaus relevant ist, zeigt etwa der Beitrag von Vincent Dubois, der am Beispiel Frankreichs die konkreten Interaktionsmodi untersucht, wie sie zwischen Verwaltungsangestellten und Hilfeempfängern auftreten. Wo die zunehmende Konditionierung von Anspruchsrechten immer weniger formale Beantragungsakte nach sich zieht, gewinnen Aushandlungsprozesse und damit auch Stereotypisierungen und Willkürakte an Bedeutung. Ähnlich argumentiert Richard Münchmeier, der am Beispiel von Hartz IV die Bedeutung sozialpädagogischer Regulierungsprozesse der Benachteiligten hervorhebt, die zunehmend repressiv und kontrollierend seien. Solche Entwicklungen gehen zudem einher mit einem Verantwortungstransfer von öffentlichen zu privaten und familiären Strukturen, wie John Clarke diagnostiziert. Die Botschaft, die uns das Buch mit auf den Weg gibt, ist letztlich also genauso banal wie grundlegend: Sozialstaatliche Praktiken sind in einem radikalen Wandel begriffen. Wer daraus lediglich ein Ende des Wohlfahrtsstaates ableitet, macht es sich aber zu einfach und entzieht sich der analytischen Verantwortung. Vielmehr kommt es darauf an, hinter die formalrechtlichen Fassaden zu blicken und die Auswirkungen konkreter Entwicklungen zu untersuchen, statt solche Praktiken durch die unreflektierte Reproduktion klassischer Theorien des Wohlfahrtsstaates zu verschleiern. Ein lohnendes Unterfangen!
{BW}
Rubrizierung: 2.2622.3422.612.64 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Philipp Sandermann (Hrsg.): The End of Welfare as We Know It? Opladen u. a.: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38349-the-end-of-welfare-as-we-know-it_45294, veröffentlicht am 30.04.2015. Buch-Nr.: 45294 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken