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Andrea Di Nicola / Giampaolo Musumeci

Bekenntnisse eines Menschenhändlers. Das Milliardengeschäft mit den Flüchtlingen. Aus dem Italienischen von Christine Ammann

München: Verlag Antje Kunstmann 2015; 206 S.; 18,95 €; ISBN 978-3-95614-029-7
Die Meldungen über Flüchtlingsboote, die die Grenzen der Europäischen Union zu erreichen versuchen, reißen nicht ab. Die mediale Aufmerksamkeit richtet sich dann meistens auf die Fluchtschicksale und die Landung an sich, nur wenig wird über die berichtet, die diese Flucht ermöglichen und monetär ausnutzen: Schleuser oder besser gesagt Schleusernetzwerke. Der Kriminologe Andrea Di Nicola und der Fotojournalist Giampaolo Musumeci haben zweieinhalb Jahre in eben diesen Milieus recherchiert, Interviews geführt, Grenzorte besucht. Was sie zeigen, ist ein beeindruckender und schonungsloser Einblick in ein „kriminelles Netzwerk von außergewöhnlicher Flexibilität“ (13). Je nach politischer Lage, Grenzort, Art und Länge des Transfers variieren die Preise und die Gefahren für die Flüchtlinge. Die Schleuser verfahren dabei oft rücksichtslos und brutal gegenüber diesen Menschen und nehmen sie finanziell aus. Die Schleusernetzwerke sind gut organisiert, unterteilt in „Akquise, Transport und Einschleusung“ (135) und viele Beteiligte wissen nur so viel, wie sie wissen müssen, was zur Folge hat, dass die Hintermänner nur sehr selten gefasst werden. Neben diesen interessanten Einblicken in die Strukturen und Verhältnisse beim Schleusen porträtieren Di Nicola und Musumeci einzelne Schleuser und lassen diese ihre Geschichte darüber erzählen, wie sie zum Schleusen kamen, wie sie ihr Netzwerk organisieren und viel Geld verdienen. Sei es ein Ire, der ‚illegale‘ Migrant_innen von Frankreich aus nach Großbritannien schmuggelt, ein Ägypter, der von Libyen aus Fluchttransfers nach Lampedusa und Spanien organisiert, oder ein ehemaliger Missionar, der vom Kongo aus viele Menschen nach Europa bringt – zumeist sind es eigene Fluchterfahrungen, persönliche Zufälle und regionale Kenntnisse der Gegebenheiten, die dazu führen, dass diese Menschen, zumeist Männer, zu schleusen beginnen. Die Kombination aus eigener Recherche zu Schleuseraktivitäten, Interviews mit Beteiligten und Hintergrundinformationen machen dieses Werk zu einem intensiven Leseereignis. Die Autoren werfen mit ihrem Buch einen Blick auf einen wichtigen, jedoch wenig beachteten Teil der Flüchtlingsproblematik. Denn nur weil die Grenzzäune höher und die Kontrollen strenger werden, heißt das nicht, dass weniger Flüchtlinge nach Europa wollen, sondern dass diese stattdessen mehr Gefahren auf sich nehmen.
{WAL}
Rubrizierung: 4.42 Empfohlene Zitierweise: Stefan Wallaschek, Rezension zu: Andrea Di Nicola / Giampaolo Musumeci: Bekenntnisse eines Menschenhändlers. München: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38299-bekenntnisse-eines-menschenhaendlers_46534, veröffentlicht am 16.04.2015. Buch-Nr.: 46534 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken