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Meinhard Creydt

Wie der Kapitalismus unnötig werden kann

Münster: Westfälisches Dampfboot 2014; 419 S.; 29,90 €; ISBN 978-3-89691-970-0
Creydts überaus komplexes und materialreiches, sich vom „linken Mainstream“ (131) distanzierendes Werk steht in einer Reihe von neueren Schriften, die nach dem „danach“ einer von Wachstum und repräsentativ‑demokratischer Herrschaft getragenen Gesellschaft fragen. Das Spezifikum dieses Buches besteht darin, dass sich Creydt an den praktischen Bedürfnissen einer nachhaltig gelingenden Systemtransformation orientiert und somit die immer wieder postulierte Alternativlosigkeit der bestehenden Verhältnisse radikal wie pragmatisch hinterfragt: „Das Konzept einer nachkapitalistischen Wirtschaft und Vergesellschaftungsweise bleibt ‚heute (und nicht erst seit heute) operativ leer’.“ (11) Dieser, von Claus Offe übernommenen, Diagnose einer operativen Leere nachkapitalistischer Gesellschaft versucht Creydt nun zu begegnen, indem er insbesondere die bereits heute existierenden sozialen Kräfte aufzuzeigen und zu systematisieren versucht, die einen Übergang hin zu einer nichtkapitalistischen, auf die „Überwindung von Partikularinteressen“ (335) ausgerichteten Gesellschaft gestalten können. Als zentral erweist sich dabei nicht so sehr die Akteursdimension selbst, also etwa die bereits bestehenden globalisierungskritischen Bewegungen, sondern die angemessene theoretische Erschließung des Begriffes der Praxis. Das „Praxis‑Paradigma“ (136) beschreibt Creydt als „jene Entfaltung von Sinnen und Fähigkeiten der Menschen, die in Arbeiten und Tätigkeiten, an Gegenständen und in sozialen Beziehungen stattfindet und durch die Herausbildung und gesellschaftliche Gestaltung der Technologien, Organisationen und Infrastrukturen möglich und geformt wird.“ (162) Immer wieder wird sie als eine Handlungsform gegen „verkehrte“ oder „widersinnige“ Entwicklungen in einer Welt, deren funktionale Differenzierung es zu reduzieren gelte, in Stellung gebracht: „‚Praxis‘ stellt ein nachkapitalistisches und ein die problematischen Momente der modernen gesellschaftlichen Zivilisation einhegendes Paradigma dar.“ (164) Auch wenn Creydt an späterer Stelle ausführlich die Schwierigkeiten, die aus einer Praxis der „Selbstgestaltung“ (333) herrühren, thematisiert, so bleibt die Reflexion über den blinden Fleck seiner Vorstellung praktischer Umgestaltung doch unterausgeprägt. „Die Frage des guten Lebens“, so hatte es an anderer Stelle geheißen, „steht in der Linken bislang viel zu wenig im Mittelpunkt.“ (132 f.) Das gute Leben prozedural wie materiell zu denken wird weiterhin Aufgabe progressiver Theorie bleiben.
{LEM}
Rubrizierung: 5.422.2 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Meinhard Creydt: Wie der Kapitalismus unnötig werden kann Münster: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38284-wie-der-kapitalismus-unnoetig-werden-kann_46666, veröffentlicht am 09.04.2015. Buch-Nr.: 46666 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken