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Sylvia Karl

Kampf um Rehumanisierung. Die Verschwundenen des Schmutzigen Krieges in Mexiko

Bielefeld: transcript Verlag 2014 (Global Studies); 513 S.; 49,99 €; ISBN 978-3-8376-2827-2
Kulturwiss. Diss. Marburg; Begutachtung: E. Halbmayer, A. Oettler. – Menschen, die für die nationale Sicherheit in Mexiko als gefährlich galten, wurden in Säcke gesperrt und über dem Pazifik aus einem Flugzeug gestoßen – manchmal noch lebend. Andere verschwanden in Massengräbern oder Geheimgefängnissen. Mit diesen Methoden führte der mexikanische Staat in der Zeit von etwa 1967 bis 1974 einen sogenannten Schmutzigen Krieg – „schmutzig“ bezieht sich allgemein darauf, dass staatlich ausgeübte politische Gewalt, Folter oder Verschleppung von regimekritischen Menschen im Widerspruch zum internationalen Kriegsrecht geschieht. In ihrer Fallstudie beschreibt Sylvia Karl nun den Kampf um Anerkennung dieser Opfer. In ihrer exemplarischen Darstellung einzelner Schicksale wird noch einmal deutlich, dass das sogenannte erzwungene Verschwindenlassen auch ein Mittel der psychologischen Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung gewesen ist. Soziale und vor allem familiäre Netzwerke sollten durch Ungewissheit, Hilflosigkeit und Angst geschwächt und so insgesamt die Oppositionsbewegungen zermürbt werden. Angehörigengruppen gehen von etwa 1.350 Verschwundenen aus. „Es waren Menschen, die zu entmenschlichten Elementen und entrechteten Körpern degradiert wurden und so aus der Gesellschaft eliminiert werden sollten.“ (23) Dafür nutzt Karl den Begriff der Dehumanisierung. Dem stellt sie die Rehumanisierung gegenüber, für die „Gesamtheit der Elemente und Handlungsstrategien, die Angehörige ab dem Zeitpunkt des Verschwindenlassens eines Familienmitglieds einsetzten, um die Verschwundenen in das soziale und kulturelle Netzwerk zu reintegrieren“ (26). Die Rehumanisierung, als Umkehrungsprozess der Entmenschlichung, könne natürlich den Gewaltakt und den Verlust der Menschen nicht rückgängig machen. Doch dadurch, dass es ein kollektives Bemühen gebe, die eigenen Erinnerungen als alternative Sichtweise gegenüber der offiziellen Darstellung der Ereignisse zu etablieren, entstünden einflussreiche Zeichen gegen die staatsterroristische Praxis. Bis das Schicksal aller Verschwundenen aufgeklärt sei, werde dieser Kampf andauern. Karl nutzte für ihre ethnografische Forschung die qualitative Methode der Grounded Theory. Von 2006 bis 2011 betrieb sie in Mexiko Feldstudien. Neben weiteren umfangreichen Recherchen führte sie 43 problemzentrierte und narrative Interviews mit Angehörigen und Folteropfern. Für ihre Dissertation erhielt sie bereits zwei Forschungspreise.
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Rubrizierung: 2.65 | 2.25 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Denzler, Rezension zu: Sylvia Karl: Kampf um Rehumanisierung. Bielefeld: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38191-kampf-um-rehumanisierung_46524, veröffentlicht am 19.03.2015. Buch-Nr.: 46524 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken