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Hans Vorländer (Hrsg.)

Demokratie und Transzendenz. Die Begründung politischer Ordnungen

Bielefeld: transcript Verlag 2013 (Edition Politik); 530 S.; 39,80 €; ISBN 978-3-8376-2278-2
Für die Mehrzahl der Beiträge dieses Bandes ist ex‑ oder implizit das Diktum von Ernst‑Wolfgang Böckenförde leitend, dass der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren könne. Vorländer bezeichnet diese Voraussetzungen in seiner Einführung als „Diskurse, die Indisponibilitäten zu generieren versuchen“ (15). Dabei handele es sich um „Annahmen, Vorstellungen, Diskurse und Praktiken“, die das „positiv gesetzte Recht selbst überschreiten und doch auf es, seine Umsetzung und Befolgung, seine Legitimation und Akzeptanz, zurückwirken“ (17). In diesem Verständnis versuchen die Autoren unterschiedliche staatliche „Transzendenzvorstellungen“ (20) verschiedener Epochen und die entsprechenden Diskurse zu beleuchten. Damit zeigen sie eindrücklich auf, dass Politik eben nicht nur in institutionell‑funktionalistischen Kategorien gedacht und analysiert werden darf. So widmet sich Jürgen Gebhardt ausführlich den verschiedenen Facetten des „religiös‑kulturelle[n] Dispositiv[s] der modernen Politik“ (41) – und dies, obwohl doch gemeinhin unterstellt wird, dass säkularisierter Staat und Religion zwei voneinander separierte gesellschaftliche „Lebenssphären“ (42) bilden. Gebhardt verweist jedoch auf die „Respiritualisierung und Divinisierung innerweltlicher Kollektive“ (76) und die „durch die konstitutionellen Revolutionen generierte Ordnungssymbolik“ (77) verschiedener Staaten. Eine wahre Lesefreude macht der Aufsatz von Pier Paolo Portinaro zu „Macht und Autorität“ und dem „Problem der Unverfügbarkeit“ (81). Mit einem begriffsgeschichtlichen Ansatz kann er den Wandel von einem transitiven zu einem nur schwer greifbaren intransitiven Machtbegriff aufzeigen, der die heutige Diskussion dominiert. Herfried Münkler widmet sich in seinem scharfsinnigen Aufsatz der „problematischen Wiederkehr vormoderner Gemeinsinnerwartungen“ (297), die er an der Gierdebatte im Zuge der Finanz‑ und Wirtschaftskrise sowie dem „Geiz‑ist‑geil“‑Slogan eines deutschen Elektronikdiscounters veranschaulicht. In beiden Kontexten werden – unter je umgekehrten Vorzeichen – bürgerliche Tugenden des 19. und 20. Jahrhunderts transzendiert. Auch wenn vor allem der zweite Abschnitt zum Teil sehr spezielle historische Fallbeispiele enthält, stellt der Band insgesamt eine wertvolle Fundgrube für die Forschung zu den diskursiv vermittelten Transzendenzvoraussetzungen moderner Staatlichkeit und ihrer politischen Kultur dar. Er geht auf eine Tagung im Rahmen des Dresdner Sonderforschungsbereichs „Transzendenz und Gemeinsinn“ im März 2012 zurück.
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Rubrizierung: 5.15.415.332.22.612.3112.5 Empfohlene Zitierweise: Henrik Scheller, Rezension zu: Hans Vorländer (Hrsg.): Demokratie und Transzendenz. Bielefeld: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38129-demokratie-und-transzendenz_43973, veröffentlicht am 05.03.2015. Buch-Nr.: 43973 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken