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Shadia Husseini de Araújo / Tobias Schmitt / Lisa Tschorn (Hrsg.)

Widerständigkeiten im "Land der Zukunft". Andere Blicke auf und aus Brasilien

Münster: Unrast 2013; 336 S.; 18,- €; ISBN 978-3-89771-050-4
Kaum ein Buch über Brasilien kommt ohne den Hinweis auf die von Stefan Zweig formulierte Bezeichnung „Land der Zukunft“ aus. Das Bild dient auch diesem Sammelband als Bezugspunkt und, mehr noch, als Kontrastfolie. Der damit beschriebene Mythos vom friedlichen Zusammenleben von Schwarzen, Indigenen und Europäern („democracia racial“) wird in knapp 30 Beiträgen mit Skizzen über die gesellschaftliche und ökonomische Realität jenseits von Wachstumszahlen und Mega‑Events konfrontiert. Im Mittelpunkt stehen einzelne soziale Bewegungen und ihr Protest gegen Rassismus, Armut und soziale Ungleichheit. Die Herausgeber_innen und Autor_innen möchten mit diesem Band „einen Blick auf die Pluralität und Besonderheit der zahlreichen Widerstandsformen eröffnen, die von allen Seiten kommen, bewahrend oder progressiv wirken, sich als passiv oder produktiv erweisen, sowohl in Städten als auch in den ländlichen Regionen stattfinden, gemeinschaftlich oder individuell organisiert werden und sich als äußerst heterogen erweisen“ (14). Die Mehrzahl der Autor_innen hat einen geo‑ und kulturwissenschaftlichen Hintergrund, einige sind in politischen Bewegungen und NGOs aktiv und berichten somit teilweise aus der Binnenperspektive. So beschreibt Flávio Thales Ribeiro Francisco die randständige Rolle der Schwarzen in einer Gesellschaft, die glaubt, tolerant und antirassistisch zu sein. Erst mit der Institutionalisierung der Schwarzenbewegung („movimento negro“) Mitte der 1990er‑Jahre habe die brasilianische Regierung rassistische Diskriminierungen im Land als ernstzunehmendes Problem anerkannt. Maria Backhouse erläutert, dass die Ausweitung der Palmölindustrie mit neuen Landnahmen verbunden ist. Betroffen sind insbesondere die „quilombolas“ (Gemeinschaften ehemals entflohener Sklaven), die „nach einigen Etappensiegen bei der Erkämpfung von Landtiteln und der Akzeptanz selbstbestimmter Lebensweise […] nun wieder unter dem Druck des unter grünen Vorzeichen expandierenden Agrobusiness [stehen]“ (85). Einige Beiträge verweisen auf Zusammenhänge zwischen globaler und lokaler Politik. Beispielsweise machen Claudia König und Dörte Segebart auf die Folgen des internationalen Handels mit Emissionsrechten für die Existenzsicherung der indigenen Bevölkerung aufmerksam. Das Spektrum der Beiträge reicht von lebensweltlichen Beschreibungen verschiedener kultureller Identitäten bis hin zu (außen)politischen Positionierungen eines äußerst vielfältigen und widersprüchlichen Landes.
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Rubrizierung: 2.652.222.23 Empfohlene Zitierweise: Anke Rösener, Rezension zu: Shadia Husseini de Araújo / Tobias Schmitt / Lisa Tschorn (Hrsg.): Widerständigkeiten im "Land der Zukunft" Münster: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38081-widerstaendigkeiten-im-land-der-zukunft_44698, veröffentlicht am 19.02.2015. Buch-Nr.: 44698 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken