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Lutz Niethammer / Roger Engelmann (Hrsg.)

Bühne der Dissidenz und Dramaturgie der Repression. Ein Kulturkonflikt in der späten DDR

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2014 (Analysen und Dokumente 35); 349, VII S.; 29,99 €; ISBN 978-3-525-35035-5
Die MfS‑Bezirksverwaltung in Gera eröffnete 1982 den sogenannten Zentralen Operativen Vorgang (ZOV) „Bühne“, da sie vermutete, „dass einige Künstler in Gera und Umgebung ‚antisozialistische Aktivitäten unter gleichzeitigem Missbrauch des Freiraums Kultur/Kunst im Sinne der politisch‑ideologischen Diversion und des Pazifismus‘ entwickelten“ (Matthias Braun, 123) – obwohl diese Künstler „bis dahin ausschließlich im staatlich sanktionierten öffentlichen Raum agierten“ (131). Das hielt die örtliche Stasi bis zur Einstellung des Vorgangs 1985 „wegen ‚nicht mehr existenter Gründe‘“ (126) nicht davon ab, 12.000 Blatt an Unterlagen zu sammeln. Dieser ZVO „Bühne“ wird in diesem Sammelband als „beispielhafte Fallstudie zu Konflikten zwischen Sicherheitsorganen der DDR und Protagonisten der alternativen Kulturszene“ (7) entfaltet, wie Lutz Niethammer erläutert. Lesenswert ist seine Einleitung, weil er gleichsam im Gespräch mit seinen Lesern die Schwierigkeiten bei der Initiierung des Forschungsprojekts schildert und die Bearbeitung des Themas selbst pars pro toto für die Beschäftigung mit der DDR problematisiert. Jeanette van Laak erklärt dann die Schizophrenie in der Kulturpolitik der DDR – Kunst und Kultur sollten dem System dienen, aber nur bedingt einen eigenen Blick auf die Zustände entwickeln dürfen: Der Machterhalt des Regimes ging vor. Die Mitarbeiter des Geraer Theaters aber „dachten gar nicht daran, ihre Kunst als eine ‚Waffe‘ instrumentalisieren zu lassen […]. Stattdessen tauschten sie sich über Ängste, Resignation oder Pessimismus aus und diskutierten entsprechende Ausdrucksvarianten für die Bühne“ (77). Ihnen diametral gegenüber standen die örtlichen Stasi‑Offiziere, deren abgeschottetes Milieu Katharina Lenski herausarbeitet. Sowohl sie als auch Niethammer weisen darauf hin, dass dieses Milieu immer noch nachwirkt, die für die Fallstudie angesprochenen ehemaligen Offiziere lehnten es alle ab, sich als Zeitzeugen interviewen zu lassen. Ihr Handeln wird daher aus Akten und den Aussagen betroffener Künstler_innen rekonstruiert. Deren Leben unter dem Eindruck der Stasiaktivitäten, die darauf zielten, ihre beruflichen Möglichkeiten zu zerstören, schildert Matthias Braun. Ebenso wie in dem autobiografisch eingefärbten Beitrag von Martin Morgner wird die Willkürlichkeit der repressiven Maßnahmen sichtbar, zumal andere staatliche Stellen die betroffenen Künstler weiter beschäftigten. Niethammer schließt nicht aus, dass sich in Gera, weil „einfach sonst nichts los war“, einige „karrieresüchtige MfS‑Offiziere“ (10) schlicht nur profilieren wollten – ausgerechnet dort, wo 1981 Matthias Domaschk unter ungeklärten Umständen in der MfS‑Untersuchungshaftanstalt zu Tode gekommen war.
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Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Lutz Niethammer / Roger Engelmann (Hrsg.): Bühne der Dissidenz und Dramaturgie der Repression. Göttingen u. a.: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38037-buehne-der-dissidenz-und-dramaturgie-der-repression_45217, veröffentlicht am 05.02.2015. Buch-Nr.: 45217 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken