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Charlotte Wiedemann

Mali oder das Ringen um Würde. Meine Reisen in einem verwundeten Land

München: Pantheon 2014; 303 S.; brosch., 14,99 €; ISBN 978-3-570-55257-5
Dschihadisten, die in Wüstenorten Scharia‑Strafen verhängen und Kulturdenkmäler zerstören – diese Assoziation dominiert die mediale Sicht auf das westafrikanische Land Mali, seitdem dort 2013 französische Spezialkräfte gegen vorrückende Islamisten kämpften. Doch Charlotte Wiedemann verzichtete darauf, den schlagzeilenträchtigen Konflikt auf den Titel zu heben, gleichwohl ist er in ihrem Buch ein zentrales Thema. Sie kritisiert allerdings vehement die ihrer Meinung nach oberflächlichen Krisenberichte ihrer westlichen Kollegen, denen es häufig an Verständnis für das Land und seine Traditionen fehle. Wiedemann beginnt die Geschichte über die alte Kulturnation weit vor der Kolonialisierung durch Frankreich. Anhand der Lebensgeschichten von einheimischen Akteuren skizziert sie die aktuell prekäre Lage: Immense Goldexporte stehen weitverbreiteter Armut gegenüber. Die meisten Malier sprechen kein Französisch und fühlen sich im frankophon dominierten politischen System fremd. „Mali ist arm, aber es wurde auch arm gemacht.“ (165) Beispielsweise führten Sparauflagen internationaler Kreditgeber dazu, dass Lehrer entlassen oder gar nicht erst ausgebildet wurden. Doch auch die patriarchalen Gesellschaftsstrukturen verhindern gesellschaftlichen Fortschritt. Zugleich aber ermöglichen traditionelle Autoritäten, kollektive Selbstverwaltung in den Dörfern und Städten als Alternative zur korrupten und unfähigen zentralistischen Staatsbürokratie aufzubauen. Wiedemann schreibt differenziert, mit großer Empathie für ihre Protagonisten und bemüht sich, eurozentristische Voreingenommenheit zu vermeiden oder zumindest zu reflektieren (nicht ganz dazu passt die mitunter überstrapazierte Gegenüberstellung zwischen „Afrikanern“ und „Europäern“ oder Begriffe wie „zivilisiert[e] Bevölkerung“, 267). So hat sie beobachtet, dass der Islam inzwischen für viele Malier als glaubwürdige Alternative zur käuflichen, vom Westen alimentierten Scheindemokratie diene. Die Folgen von Korruption und aufgezwungenen neoliberalen Reformen seien kaum schlimmer als die von gutgemeinter Entwicklungshilfe. „Die entscheidende Frage ist: Wer ermächtigt die Bürger und wer entmündigt sie?“ (187) Wiedemann schreibt journalistisch, anschaulich, bisweilen ergreifend. Statistiken und Hintergrundinformationen ergänzen ihre Beobachtungen. Hilfreich sind Kartenmaterial, Zeittafel und Glossar, ein Quellenverzeichnis fehlt hingegen.
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Rubrizierung: 2.67 Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Denzler, Rezension zu: Charlotte Wiedemann: Mali oder das Ringen um Würde. München: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37989-mali-oder-das-ringen-um-wuerde_46202, veröffentlicht am 22.01.2015. Buch-Nr.: 46202 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken