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Rüdiger Frank

Nordkorea. Innenansichten eines totalen Staates

Stuttgart/München: Deutsche Verlags-Anstalt 2014; 428 S.; geb., 19,99 €; ISBN 978-3-421-04641-3
Ist Nordkorea kommunistisch? Nein, vom „Kern des Marxismus“ hat sich die Führung abgewendet – der Mensch ist demnach keinen gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten unterworfen: „Alles ist möglich, wenn der Mensch nur will.“ (99) Und was will der nordkoreanische Mensch? Sich verwirklichen, was – durchaus im Anschluss an die konfuzianische Harmonielehre – nach offizieller Lesart nur im Kollektiv zu erlangen ist. Und das Kollektiv, so die weitere Zuspitzung, braucht einen Führer. Wie überaus totalitär dieses Prinzip angewandt wird, zeigt sich an der Feststellung, dass das Regime nicht einmal vorhat, „den Bürgern die grundlegende Funktionsweise des Systems zu erklären“; eigenverantwortliche Entscheidungen selbst in diesem Rahmen sind unerwünscht. Und wer Anweisungen als widersprüchlich empfindet, ist nur unfähig, „die Weisheit des Führers“ (98) zu verstehen. Es beeindruckt, wie es dem Autor dennoch gelingt, trotz dieser politisch repressiven Struktur, die deutlich mehr als Fassade ist und das Leben der Menschen durchdrungen hat, ein differenziertes Bild von diesem Teilstaat zu zeichnen. Rüdiger Frank, Professor für Wirtschaft und Gesellschaft Ostasiens an der Universität Wien, baut dabei auf eigene, lebendig geschilderte Beobachtungen auf, die er seit seiner Zeit als Austauschstudent Anfang der 1990er‑Jahre – die Humboldt Universität zu Berlin hatte einen entsprechenden Kooperationsvertrag nicht aufgekündigt – in Nordkorea sammeln konnte. Auch hat er als geborener Leipziger einen an der DDR geschulten Blick für die feinen Unterschiede zwischen Propaganda und Kontrolle auf der einen Seite und den Realitäten des Alltags auf der anderen. Seine wiederholten Analogien und vor allem auch Abgrenzungen zum ostdeutschen Teilstaat helfen zu verstehen, welche Spezifika die nordkoreanische Wirtschaft prägen, welche Rolle den Sonderwirtschaftszonen zukommt, wie der Führerkult durchgesetzt wird, welche Interessen andere Staaten auf der koreanischen Halbinsel verfolgen und ob es die von beiden Teilstaaten ausdrücklich gewünschte Wiedervereinigung geben wird. In der detaillierten Analyse zeigt sich, dass das Regime aus historischen Gründen wie aus Eigeninteresse Armut und Unabhängigkeit den Vorzug gibt vor Reformen mit unkalkulierbarem Ausgang. Dennoch haben sich nach Beobachtung von Rüdiger Frank für die Menschen die Lebensumstände und Möglichkeiten zum Konsum verbessert: auf mittlerweile erlaubten Märkten und in den Sonderwirtschaftszonen können sie erste eigene Erfahrungen jenseits der rigiden Regeln des Regimes sammeln. Dies könnten, so die optimistische Vermutung als Fazit des Buches, die frühen Vorboten eines Wandels sein.
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Rubrizierung: 2.682.252.262 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Rüdiger Frank: Nordkorea. Stuttgart/München: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37940-nordkorea_46334, veröffentlicht am 08.01.2015. Buch-Nr.: 46334 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken