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Mara Gerbig

Grundrecht auf staatlichen Schutz. Ein Vergleich von Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika

Berlin: Duncker & Humblot 2014 (Schriften zum Öffentlichen Recht 1278); 285 S.; 69,90 €; ISBN 978-3-428-14334-4
Rechtswiss. Diss. Hamburg; Betreuung: H.‑J. Koch; I. Appel. – Der Titel kündigt schon an, was für die deutsche (zum Teil europäische) Sicht typisch ist: Sicherheit wird nicht bloß als Aufgabe des Staates begriffen, sondern als ein Bürgerrecht, das die freiheitliche Funktion der Grundrechte durch staatliche Intervention sogar zu konterkarieren – und zugleich auch den parlamentarischen Gesetzgeber durch verfassungsrichterliche Vorgaben einzuschränken – droht. Mara Gerbig arbeitet diese Dialektik klar heraus und der politikwissenschaftliche Mehrwert der juristischen Analyse besteht vor allem im Vergleich, denn in den USA werden Grundrechte primär liberal als reine Abwehrrechte gegen den Staat verstanden. Durch das Bundesverfassungsgericht ist die „Schutzpflicht“, zum Teil im Rückgriff auf die antiliberale, gemeinschaftsbezogene Verfassungslehre von Rudolf Smend, erstmals 1975 bei der Kassation der sogenannten Fristenlösung gewürdigt worden; seitdem wurde sie beim Immissions‑ und Risikoschutz bei Flug‑ und Straßenlärm, mit Blick auf Atomkraftwerke (Mülheim‑Kärlich‑ und Kalkar‑Beschluss) sowie im Privatrecht und im Bereich der Inneren Sicherheit (Schleyer‑Beschluss) weiter ausgebaut. Im letzteren Falle wird dies flankiert durch die vor allem von konservativer Seite bis heute und seit 9/11 verstärkt vorgebrachte These vom Grundrecht auf Sicherheit. Gerbig findet viele Gründe für die Unterschiede im Grundrechtsverständnis: die Methoden der Verfassungsinterpretation, die Tradition des Common Law, die geringere Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im US‑Recht usw. Besonders interessant sind jedoch zwei Befunde: Historisch‑soziologisch seien die Grundrechte in Europa gegen den Ständestaat und Absolutismus gerichtet, sodass sie immer auch zur Legitimation für ein aktives staatliches Eingreifen zugunsten der Verwirklichung von Freiheit und Gleichheit dienten. In den USA dagegen sei es von Anfang an „lediglich darauf an[gekommen], Machtanmaßungen des Gesetzgebers [...] abzuwehren“ (253). Institutionell betrachtet sei der Supreme Court als zugleich höchstes Instanzgericht „nicht auf die Entwicklung von kompetenzerweiternden Grundrechtsfunktionen angewiesen“ (254), während das Bundesverfassungsgericht seine Fälle nur auf der Ebene des Verfassungsrechts lösen könne. – Sehr richtig; allerdings sollte noch stärker betont werden, dass erstens der Ständestaat auch in Deutschland nicht mehr existiert und zweitens, dass dem Bundesverfassungsgericht diese Macht eines „entgrenzten Gerichts“ (Matthias Jestaedt u. a., siehe Buch‑Nr. 41302) nicht aufgedrängt werden musste.
{RVO}
Rubrizierung: 2.12.212.322.64 Empfohlene Zitierweise: Robert Chr. van Ooyen, Rezension zu: Mara Gerbig: Grundrecht auf staatlichen Schutz. Berlin: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37923-grundrecht-auf-staatlichen-schutz_46422, veröffentlicht am 18.12.2014. Buch-Nr.: 46422 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken