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Joachim Gauck

Nicht den Ängsten folgen, den Mut wählen. Denkstationen eines Bürgers

München: Siedler Verlag 2013; 256 S.; 19,99 €; ISBN 978-3-8275-0032-8
Wenn ein führender Politiker dieses Landes – noch dazu wenn er so sehr mit seinem Bürgerstatus kokettiert – ein Buch schreibt, dann ist das meist so eine Sache: Geht es um eine ernstgemeinte, authentische Intervention in der politischen Öffentlichkeit? Oder geht es um die Erklärung, um nicht zu sagen: um das Zurechtrücken eigenen politischen Tuns oder Nicht‑Tuns? Die Qualität dieses Bandes, der Joachim Gaucks wichtigste Reden der vergangenen 25 Jahre dokumentiert (wenn auch mitunter in stark gekürzter Fassung), dürfte irgendwo dazwischen liegen. Schaut man auf die nach Themenschwerpunkten sortierten Texte, fällt auf, dass neben biografische Schwerpunkte – Wiedervereinigung, Aufarbeitung der DDR‑Vergangenheit – ein dezidiert politischer tritt: Freiheit. Das ist insofern spannend als Gauck mit seinem Verständnis von Freiheit häufig auch auf öffentliche Kritik gestoßen ist – also, um es neutral zu formulieren, einen Nerv getroffen hat. „Es ist vielmehr meine tiefe Überzeugung“, so Gauck über seine Sicht auf das, was Freiheit ausmacht, „dass die Freiheit das Allerwichtigste im Zusammenleben ist und erst Freiheit unserer Gesellschaft Kultur, Substanz und Inhalt verleiht. Bei vielen Menschen aber, die mir im Land begegnen, vermute ich eine geheime Verfassung, deren virtueller Artikel 1 lautet: ‚Die Besitzstandswahrung ist unantastbar’.“ (173) In einer Zeit voller Unsicherheit und vor allem zunehmender sozialer Ungleichheit nimmt es kaum Wunder, dass die Kritik an einem vermeintlich von Besitzstandswahrung dominierten Denken Irritationen auslöst – wo doch immer mehr Menschen nicht nur massive Ungleichverteilung von Besitz erleben, sondern selbst zunehmend um die Aufrechterhaltung (nicht den Ausbau) ihres bereits erreichten beziehungsweise erarbeiteten Lebensstandards fürchten müssen, alle gelebte Flexibilität hin oder her. Gauck hat unbestritten Recht, wenn er Freiheit – und dazu auch Toleranz und Verantwortung – als eine der unveräußerlichen Grundlagen dieser „demokratischen Republik“ (187) identifiziert. Indes: „Freiheit ist eine notwendige Bedingung von Gerechtigkeit.“ (195) – Auch da hat Gauck Recht. Vielleicht irritiert letztlich nur die Einbahnstraße seiner Gedankenführung: Der Satz, wonach das Gefühl, in gerechten Verhältnissen zu leben, Vorbedingung für eine gestaltende politische Freiheit ist, wäre sicherlich genauso richtig. Nur würde er das Lebensgefühl einer Mehrheit der Menschen in diesem Land sicher eher treffen.
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Rubrizierung: 2.32.35 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Joachim Gauck: Nicht den Ängsten folgen, den Mut wählen. München: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37851-nicht-den-aengsten-folgen-den-mut-waehlen_44762, veröffentlicht am 04.12.2014. Buch-Nr.: 44762 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken