Gewalt und Habitus. Paramilitarismus in Kolumbien
Sozialwiss. Diss. Hamburg; Begutachtung: D. Nolte, W. Hein. – Kolumbien ist selbst im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern von einem hohen Maß an Gewalt geprägt, die mit dem Krieg der Tausend Tage (1899‑1902) begann und bis heute anhält. Obwohl sich die Konfliktursachen verschoben haben und die Akteursstruktur sich mehrfach änderte, kam es bisher nicht zu einer Befriedung. Der gegenwärtige Bürgerkrieg gilt aufgrund der Vielzahl der Akteure und ihrer wechselnden Interessen als nur schwer durchschaubar: „In diesem Konflikt agieren die Gesamtheit der kolumbianischen Sicherheitskräfte (Polizei, Heer, Luftwaffe, Marine sowie die Geheimdienste), zahlreiche Guerillagruppen, von denen zwei im ganzen Land vertreten sind (FARC‑EP und ELN), paramilitärische Blocks, Narcos sowie zahlreiche kriminelle Organisationen – Bandas, Combos, Parches und Officinas“ (20), die sich in wechselnden Koalitionen gegenseitig bekämpfen. Gewalt ist die Grundkonstante der kolumbianischen Gesellschaft und in allen Bereichen des Lebens präsent, so Manfredo Koessl. Ausgehend von der Feldtheorie Pierre Bourdieus analysiert er die Rolle der Paramilitärs im Konflikt und fragt, inwieweit die Anwendung von Gewalt sich im Habitus der Akteure verfestigt hat. Dabei greift er auf eigene Beobachtungen durch seine Lehrtätigkeit in Kolumbien und zahlreiche Experteninterviews zurück. Neben der historischen Genese des Paramilitarismus zeigt Koessl die vielfältigen Verbindungen zu den anderen Akteuren in diesem Konfliktfeld auf. Die zahlreichen Verbrechen und Verstrickungen der Paramilitärs in Gewaltverbrechen und Menschenrechtsverletzungen, ihre Verbindungen zu den Drogenbaronen, der Regierung und lokalen Eliten und die offensichtliche Einflussnahme auf die kolumbianische Politik werden so deutlich. Die Paramilitärs sind laut Koessl nicht Ursache, sondern Produkt der kolumbianischen Gewaltspirale. Ob die Gewalt je überwunden werden kann, wagt er nicht zu konstatieren. „Die Gewalt ist, zusammen mit dem Klientelismus, eine der wenig erfolgreichen Praktiken, die es großen Teilen der kolumbianischen Bevölkerung erlaubt, ihre Position im Feld zu verbessern.“ (242) Auch deswegen ist das unter Alvaro Uribe geschlossene Friedensabkommen nur bedingt erfolgreich gewesen, wie die Neugründung paramilitärischer Gruppen oder der Wechsel ehemaliger Paramilitärs zur Guerilla‑Organisation FARC‑EP illustrieren.