Skip to main content
Philipp Lepenies

Die Macht der einen Zahl. Eine politische Geschichte des Bruttoinlandsprodukts

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2013 (edition suhrkamp 2673); 186 S.; 16,- €; ISBN 978-3-518-12673-8
Kommunikationen über politische Interventionen auf der Basis von Quantifizierungen haben etwas eigentümlich Suggestives – scheinen Zahlen doch Sachverhalte stark komprimiert und zugleich objektiv zu beschreiben. In der Regel wird dabei die mit der Berechnungsweise derartiger Kennziffern verbundene Selektivität ausgeblendet. Das gilt – wie Philipp Lepenies in seiner Studie anschaulich zeigt – in besonderem Maße für den im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) verwendeten Indikator des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Nur vordergründig ist das BIP – so unterstreicht Lepenies – eine statistische Kennziffer, die die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft ausdrückt; faktisch ist die Konzeption des BIP das weltweit wohl wirkungsmächtigste Instrument einer wachstumsfixierten Technologie des Regierens. Dieser Charakter ist in den Konventionen angelegt, auf denen die Berechnung des BIP beruht. Berücksichtigt werden nur die innerhalb einer Periode am Markt erzielten Preise für Güter und Dienstleistungen; die in den 1990er‑Jahren erfolgte Umstellung der amtlichen Statistiken auf das Arbeitsortkonzept ermöglicht zudem einen weltweiten Vergleich der nationalen Wachstumsraten der Produktion. Davon ausgehend zeigt Lepenies, wie sich dieses statistische Konstrukt – das noch vor dem Zweiten Weltkrieg gänzlich unbekannt war – weltweit durchsetzen konnte. Seine Darstellung beruht konzeptionell auf einer Verbindung von Wissenschafts‑ und Wirtschaftsgeschichte. Zunächst befasst er sich mit der Entwicklung von Berechnungsweisen dieser Form einer politischen Arithmetik. Diese Geschichte ist mit drei Namen verbunden: mit William Petty und den ersten Entwürfen zur Berechnung des Volkseinkommens im England des 17. Jahrhunderts sowie mit Colin Clark und Simon Kuznets, die unabhängig voneinander in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die methodischen Grundlagen der VGR ausgearbeitet haben. Politisch etablieren konnte sich das Konzept des BIP dann endgültig unter Rahmenbedingungen – Zweiter Weltkrieg, Marshallplan, Wettstreit der Systeme –, mit denen Wirtschaftswachstum und Steigerung des materiellen Wohlstands zum westlichen Glaubensbekenntnis erhoben wurden.
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.452.22.612.311 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Philipp Lepenies: Die Macht der einen Zahl. Frankfurt a. M.: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37607-die-macht-der-einen-zahl_45052, veröffentlicht am 02.10.2014. Buch-Nr.: 45052 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken