Radical Unions in Europe and the Future of Collective Interest Representation
Die Gewerkschaften – neben den sozialdemokratischen beziehungsweise sozialistischen Parteien die zweite große Säule in der modernen politischen Repräsentation von Arbeitnehmerinteressen – fristen im Zeitalter neoliberaler Hegemonie ein trauriges Dasein. Dass dieser Befund aber nicht für alle europäischen Gewerkschaften gilt, zeigen die Beiträge dieses Sammelbandes anhand mehrerer Fallstudien. Mit Blick auf Frankreich und die dort traditionell sehr ausdifferenzierte und streikwillige Gewerkschaftsbewegung zeigt Heather Connolly, dass in den vergangenen Jahren klassische Streiks eindeutig zurückgegangen sind. Stattdessen erleben alternative Protest‑ und Widerstandsformen – wie etwa das medial stark beachtete „Bossnapping“ (66) – eine bisher nicht gekannte Konjunktur. Lefteris Kretsos fokussiert in seinem Beitrag die Gewerkschaften in Griechenland, das von der europäischen Austeritätspolitik und ihren Folgen besonders stark getroffen wurde. Eine an sozialdemokratischer Politik orientierte Gewerkschaftsbewegung stehe, so resümiert Kretsos, angesichts anhaltend hoher Arbeitslosigkeit, Lohnkürzungen und schlechter Zukunftsaussichten vor dem Aus, wohingegen eine radikalere, auch auf politische Gewalt setzende Vertretung von Arbeitnehmerinteressen auf dem Vormarsch sei. Für diese nachgerade tektonische Verschiebung der gewerkschaftlichen Kräfteverhältnisse sei Griechenland das prototypische Beispiel schlechthin. Insgesamt veranlassen die Befunde der Fallstudien die Herausgeber zu einer positiven, um nicht zu sagen: euphorischen Einschätzung der Vitalität der europäischen Gewerkschaftsbewegung: „Trade unionism has been the vanguard of participatory democracy and social justice in Europe for two centuries, and it has been the dominant voice for a more equitable distribution of wealth. The upsurge in trade union protest across Europe since 2009 reveals that this tradition remains alive.“ (24) Die Frage indes, wo kreativer Protest aufhört und politische Gewalt anfängt, kann und darf hiervon nicht entkoppelt werden.