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Stefan Müller-Doohm

Jürgen Habermas. Eine Biographie

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2014; 750 S.; 29,95 €; ISBN 978-3-518-42433-9
Zum 85. Geburtstag von Jürgen Habermas stellt Stefan Müller‑Doohm seiner kürzeren biografischen Einführung in dessen Werk und Leben (siehe Buch‑Nr. 35866) diese umfangreiche Biografie zur Seite. Müller‑Doohm geht es vorrangig um „die Darstellung des verschlungenen Nebeneinanders von Haupt‑ und Nebenberuf, der Wechselbeziehung zwischen den Denkentwicklungen des Philosophen und den Interventionen des öffentlichen Intellektuellen vor dem Hintergrund zeitgeschichtlicher Ereignisse“ (13), weshalb er sich auch klugerweise weitgehend von Spekulationen zu Habermas‘ Denken, Gefühlen oder Aussagen über dessen Privatleben fernhält. Überwiegend referierend und ohne eigene Wertungen vorzunehmen, zeichnet Müller‑Doohm auf breiter Quellengrundlage die zentralen Ereignisse in Habermas’ Leben nach, darunter die ersten Schwierigkeiten im Berufsleben und dann die aus der Beobachterperspektive weitgehend geradlinig verlaufende Karriere im Wissenschaftsbetrieb sowie die Entstehung der zentralen Werke. Eindrücklich beschreibt Müller‑Doohm, wie Habermas sich als öffentlicher Intellektueller auf unnachahmliche Weise in die für das bundesrepublikanische Selbstverständnis bedeutungsvollen politischen Debatten eingeschaltet hat: etwa während der Studentenbewegung, als er für gesellschaftliche Reformen auf gewaltlosem Weg eingetreten ist; im Historikerstreit, bei dem Habermas gegen das Verdrängen und Relativieren des Holocaust argumentiert hat; während der Zeit der Wiedervereinigung, der er zunächst skeptisch gegenüberstand, oder seine aktuelle Europa bejahenden Interventionen. Erst gegen Ende wagt Müller‑Doohm einen Versuch, Habermas’ Rolle als „Reizfigur“ (552) in der öffentlichen politischen Arena zu erklären: „Bei seinen politischen Interventionen und situativen Parteinahmen tendiert Habermas in der Regel eher zum Angriff als zur Verteidigung.“ So ziehe er gerade in ideenpolitischen Positionskämpfen „alle Register der Rhetorik, um sich in den Rivalitäten um die Deutungshoheit mit der eigenen Sichtweise durchzusetzen“. Habermas erweise sich als der „angriffslustige Kontrahent“, der Meinungsverschiedenheiten nicht scheue. „Sofern es sich um einen Disput auf der Basis politischer Gegnerschaft handelt, greift er durchaus zu groben Wertungen und Vereinfachungen, zu Ironie und Sarkasmus, die er in scharfem Ton und gelegentlich auch ad hominem vorträgt.“ (553) Während man insgesamt einen guten Einblick in Habermas’ politisches Wirken bekommt, sollte man keine intensive Auseinandersetzung mit seinen theoretischen Arbeiten erwarten. Dies ist wohl auch nicht zu leisten. Hingegen hätte eine etwas systematischere Vorgehensweise wohl mehr Lesevergnügen bereitet. Festzuhalten bleibt, dass Müller‑Doohm Habermas kein „Denkmal“ (11) setzten wollte, es aber letztlich doch getan hat.
Jan Achim Richter (JAR)
Dipl.-Politologe, Doktorand, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 1.32.35.46 Empfohlene Zitierweise: Jan Achim Richter, Rezension zu: Stefan Müller-Doohm: Jürgen Habermas. Frankfurt a. M.: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37529-juergen-habermas_46058, veröffentlicht am 11.09.2014. Buch-Nr.: 46058 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken