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Rolf Hecker / Richard Sperl / Carl-Erich Vollgraf (Hrsg.)

Marx und Russland

Hamburg: Argument 2014 (Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2012); 228 S.; 14,90 €; ISBN 978-3-86754-680-5
Der Band thematisiert die vielschichtigen Referenzen und Beziehungen von Marx und Engels zu Russland. Dessen politische und wirtschaftliche Situation war – wie die Herausgeber betonen – für beide zeitlebens von besonderer Bedeutung. Ein ausdrücklicher Stellenwert kommt dabei Marx‘ Beziehung zu Michail Bakunin zu, an dessen revolutionärer Ungeduld die Erste Internationale mit zerbrochen ist. Wolfgang Eckhardt untersucht aus ideengeschichtlicher Perspektive jene „polemische Schlammschlacht“ (26), die nach 1870 im Zuge der Auffächerung der Arbeiterbewegung in Sozialdemokratie, Kommunismus und Anarchismus zwischen Bakunin und Marx ihren Austrag fand. Während Marx und Engels in ihrer politischen Strategie auf die Eroberung der Macht durch möglichst viele erfolgreiche Kandidaturen um Mandate abstellten, vertrat Bakunin dagegen „die sozialrevolutionäre Ideentradition innerhalb der IAA, die nicht auf Partizipation oder Eroberung der politischen Macht setzte, sondern auf ihre Zerstörung zur Schaffung neuer herrschaftsloser Gesellschaftsformen.“ (27) Gerade in dieser kategorialen Unterscheidung zweier divergenter politischer Strategien kommt, wie Eckhardt abschließend anmerkt, der zunächst bloß persönlichen Fehde zwischen Marx und Bakunin eine bis heute fortwirkende ideengeschichtliche wie politisch‑praktische Bedeutung zu. Einige dezidiert werkhistorische Überlegungen stellt Anna Uroeva an, die die Rezeption von „Das Kapital“ noch vor dem Vorliegen einer einheitlichen und kompletten Übersetzung beleuchtet. Bevor diese durch Nikolaj F. Daniel?son für den ersten Band im Jahr 1872 besorgt worden war, war die Lektüre durch zweierlei Faktoren stark beschränkt: Zum einen waren überhaupt nur sehr wenige Exemplare in Russland beziehungsweise in russischen Bibliotheken verfügbar, die zum anderen – bedingt durch die deutsche Sprache – nur einem sehr kleinen und zudem in der Regel akademisch gebildeten Kreis von Lesern zur Verfügung standen. Russland war um 1870, gemessen an Marx?schen Kriterien, nicht hinreichend kapitalistisch entwickelt und noch weniger reif für die geschichtsphilosophisch notwendige revolutionäre Überwindung der herrschenden Verhältnisse. Daher entstand das Interesse, Marx‘ Ideen auch einer breiteren Leserschaft zugänglich zu machen, um so eine Beschleunigung der sozialen, ökonomischen und politischen Transformation zu erreichen.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.33 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Rolf Hecker / Richard Sperl / Carl-Erich Vollgraf (Hrsg.): Marx und Russland Hamburg: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37524-marx-und-russland_45995, veröffentlicht am 11.09.2014. Buch-Nr.: 45995 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken