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Harry Waibel

Der gescheiterte Anti-Faschismus der SED. Rassismus in der DDR

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2014; 293 S.; 39,95 €; ISBN 978-3-631-65073-8
Erneut legt Harry Waibel ein Buch vor, in dem er sich mit dem Ausmaß rassistischer und rechts motivierter Delikte und Straftaten in der ehemaligen DDR auseinandersetzt. Im Kern plädiert Waibel dafür, den Mythos eines konsequenten „Staatsantifaschismus“ der SED‑Führung endgültig ad acta zu legen. Zur Beweisführung legt er eine umfassende Sammlung von circa 600 dokumentierten, teilweise bisher unveröffentlichten Ereignissen vor, die er aus den Archiven des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR (BStU) zusammengetragen hat. Bezieht man seinen im Jahr 2012 veröffentlichten Titel (siehe Buch‑Nr. 43701) mit in die Aufzählung ein, ergeben sich daraus 1.500 Informationen über rassistisch, neonationalsozialistisch und antisemitisch motivierte Straftaten quer durch die Republik und quer durch alle Gesellschaftsschichten. Die Spanne der dokumentierten Vorfälle reicht von Propagandadelikten und Sachbeschädigung bis hin zu Körperverletzung und Mord. Die These vom „Jugendphänomen Rassismus“ wird hier eindeutig empirisch widerlegt. Das Fazit des Bandes fällt dementsprechend eindeutig aus: „Es gab in der DDR institutionalisierten und gesellschaftlichen Rassismus, von dessen Ausmaß niemand wusste, weil niemand es wissen sollte.“ (114) Dieser Umstand äußerte sich schon allein darin, dass im engen Netz der Überwachungs‑ und Sicherheitsbehörden keine gesonderte Behörde beziehungsweise Abteilung existierte, die mit der Dokumentation geschweige denn der Aufklärung solcher Sachverhalte beauftragt worden war. Eine Übersicht rechter Gruppen und Akteure, wie im ersten Kapitel suggeriert, fehlt leider. Ebenso wäre eine Begründung, worin der Autor seine Zusammenstellung in rassistisch und neonazistisch motivierte Gewalt unterteilt, hilfreich gewesen, denn teilweise wirkt diese Unterteilung recht willkürlich. Leider wird der Lesefluss auch durch den anhaltend aufgeregten Ton in der Einleitung und Schlussfolgerung behindert. Der Autor scheint hier gründlich (teilweise persönlich) mit seinen Kritikern abrechnen zu wollen. Etwas mehr Sachlichkeit hätte an dieser Stelle gutgetan. Für eine weitere Auflage des Titels wäre ein nochmaliges Redigieren wünschenswert. Trotz dieser kleinen Schwächen bleibt der Erkenntnisgewinn hoch. Die Arbeit besticht durch ihre hohe Dichte an Material und hilft damit, die beispiellose rechtsradikale Gewaltmobilisierung der frühen Neunzigerjahre zeitgeschichtlich einordnen und bewerten zu können.
Ronny Noak (RNO)
B.A., Politikwissenschaftler, Student, Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Ronny Noak, Rezension zu: Harry Waibel: Der gescheiterte Anti-Faschismus der SED. Frankfurt a. M. u. a.: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37523-der-gescheiterte-anti-faschismus-der-sed_45969, veröffentlicht am 11.09.2014. Buch-Nr.: 45969 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken