Skip to main content
Thomas Herwig

Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Eine rechtswissenschaftliche Darstellung und Untersuchung anhand historischer Entwicklungen, praktizierter Formen und zukünftiger Lösungsansätze hinsichtlich der europäischen Integration

Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2014 (Studien zum Völker- und Europarecht 116); 397 S.; 98,80 €; ISBN 978-3-8300-7558-5
Diss. Hagen. – Gerade weil das Schrifttum zur EU, zu ihren Institutionen, Politikfeldern, Errungenschaften, Defiziten, theoretischen Verortungen und ihren strapazierten Konfliktbewältigungsstrategien kaum noch zu überblicken ist, fehlt es an Systematisierungen, wie sie etwa 1997 Claus Giering für die Integrationstheorien vorgelegt hat. Das Europa der Gründerjahre ist in der heutigen EU kaum noch zu erkennen, der Acquis Communautaire muss im Beitrittsverfahren aus Gründen der Handhabbarkeit kapitelweise untersucht werden, die ursprüngliche Frage nach der Finalität der EU wird kaum noch gestellt. Was als Friedensprojekt begann, muss sich heute in globalen Finanzkrisen behaupten und praktikable politische Konzepte, etwa für das Verhältnis zu den Nachbarstaaten im Osten und jenseits des Mittelmeeres, erarbeiten, wenn die Idee vom Raum der Sicherheit, des Friedens und des Rechts funktionieren soll. Thomas Herwig wagt von daher ein beachtliches Experiment, wenn er den Acquis in seiner historischen Entwicklung als Längsschnittstudie nutzt und vom Vertrag von Lissabon ausgehend aufzeigt, wie das Europarecht die Vielfalt der inzwischen 28 Mitgliedstaaten mit der dafür notwendigen Flexibilität zusammenführt und über die Setzung spezifischer Normen sukzessive harmonisiert. Dass er sich dabei Beschränkungen auferlegen muss, ist verständlich, dennoch fehlt etwa eine Einordnung der Gründungsverträge, des Fusionsvertrages oder des Kohäsionsgebotes. Der Fokus der Arbeit liegt dafür auf der Art und Weise, wie die Verträge (und damit die sie aushandelnden Akteure) einem Integrationsprozess Rechnung tragen, der durch innerstaatliche Krisen, Regierungswechsel, unterschiedliche Sichtweisen der Erfordernisse in den Hauptstädten (und inzwischen auch in Brüssel) sowie die wechselhafte Akzeptanz der Öffentlichkeit geprägt ist und dabei selbst Sonderfälle wie die Common Travel Area inkorporiert. Das Plädoyer für mehr Einzelfallregeln und weniger Generalklauseln in den Verträgen ist von daher zwar durchaus nachvollziehbar, aber angesichts der Komplexität der politischen Praxis kaum wünschenswert.
Martin Schwarz (MAS)
Dr., Politikwissenschaftler, wiss. Mitarbeiter, Institut für Sozialwissenschaften und Philosophie (ISP) an der Universität Vechta.
Rubrizierung: 3.23.1 Empfohlene Zitierweise: Martin Schwarz, Rezension zu: Thomas Herwig: Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Hamburg: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37474-europa-der-unterschiedlichen-geschwindigkeiten_45988, veröffentlicht am 28.08.2014. Buch-Nr.: 45988 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken