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Jens Kersten / Gunnar Folke Schuppert (Hrsg.)

Politikwechsel als Governanceproblem

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2012 (Schriften des Münchner Centrums für Governance-Forschung 8); 127 S.; brosch., 24,- €; ISBN 978-3-8329-7281-3
In der öffentlichen Debatte hält sich zählebig das Vorurteil, dass die Bundesrepublik zu einschneidenden Reformen beziehungsweise Politikwechseln aufgrund ihrer föderalen und parteipolitischen Vetospielerkonstellation nicht in der Lage sei. Besonders lesenswert in diesem Band sind deshalb die beiden Beiträge von Friedbert Rüb sowie Frank Nullmeier und Matthias Dietz, weil sie sowohl in konzeptioneller als auch methodischer Hinsicht neue Anregungen enthalten. So liefert Rüb nicht nur eine Definition des Begriffs Politikwechsel, den er als „einen schnellen und umfassenden Wechsel in einer Policy“ (18) – und nicht der Politics – interpretiert. Er entwickelt zudem eine Typologie von Policy‑Variationen sowie eine Matrix mit den „Modi radikaler Politikwechsel“ (22). Immer mit Blick auf die spannende Frage, warum die Vetospieler in solchen Situationen eigentlich schweigen, nimmt sich Rüb auch den „Ursachen, Zeitpunkten und Prozessdynamiken von rapiden Politikwechseln“ (25) an. Die Anwendbarkeit seiner theoretisch‑analytischen Überlegungen illustriert Rüb dann anschließend an zwei kurzen Fallbeispielen – der Hartz‑Gesetzgebung unter Gerhard Schröder und dem Ausstieg aus dem Ausstieg der Energiewende 2011 unter Angela Merkel. In beiden Fällen wendet sich Rüb dezidiert gegen die im politikwissenschaftlichen Diskurs verbreitete Annahme von einem „identifizierbaren und quasi‑objektivistischen Problemdruck“, der wie ein „Sachzwang“ in einer „(rationalen) Problemlösung“ (31) durch die Politik kumulieren musste. Nullmeier und Dietz untersuchen dann das Fallbeispiel der Atomausstiegspolitik unter Angela Merkel und bedienen sich dabei in exemplarischer Weise eines interpretativen Erklärungsansatzes. Danach sei eine (politische) Handlung interpretativ erklärt, „wenn ein Grund als guter Grund benannt wird, der aufgrund von Abwägungen zu dem Grund geworden ist, der die Handlung bewirkt“ (99). Dabei müsse nicht nur ein schwach rationaler Abwägungsprozess der handelnden Personen reflektiert werden, sondern auch – aus Forscherperspektive selbstkritisch – mögliche Gründe und Abwägungsprozesse der Akteure gegeneinander ausgespielt werden. Da sich auch die Beiträge von Kajo Wasserhövel und Jens Kersten – aus politikpraktischer und juristischer Perspektive – mit den Hartz‑Reformen beziehungsweise dem Atomausstieg befassen, liefert der Band einen Beitrag zur weiteren Erforschung beider Policies. Der Band macht die Beiträge einer Tagung zugänglich, die im November 2011 am Berliner Wissenschaftszentrum stattgefunden hat.
Henrik Scheller (HS)
Dr. phil., Dipl.-Politologe, wiss. Mitarbeiter, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl Politik und Regieren in Deutschland und Europa, Universität Potsdam.
Rubrizierung: 5.22.3432.322.2 Empfohlene Zitierweise: Henrik Scheller, Rezension zu: Jens Kersten / Gunnar Folke Schuppert (Hrsg.): Politikwechsel als Governanceproblem Baden-Baden: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37342-politikwechsel-als-governanceproblem_43442, veröffentlicht am 31.07.2014. Buch-Nr.: 43442 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken