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Sebastian Galka

Parlamentarismuskritik und Grundgesetz. Parlamentarismuskonzeptionen in der Verfassungsdiskussion des Parlamentarischen Rates 1948/1949

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2014 (Studien zum Parlamentarismus 23); 355 S.; 64,- €; ISBN 978-3-8487-1128-4
Politikwiss. Diss. Kiel; Begutachtung: E. Schuett‑Wetschky, E. Keynes. – Kritiker der Parteiendemokratie monieren, dass der Parlamentarismus sich von seinem demokratischen und deliberativen „Freien‑Mandat‑Ideal“ längst entfernt habe und zu einem machtschachernden „Parteienstaat“ degeneriert sei. Ideengeschichtlich ist diese Kontroverse nicht neu: Im 19. Jahrhundert stritten hierüber John St. Mill und Walter Bagehot, in Weimar bzw. Wien Carl Schmitt und Hans Kelsen, aber auch schon der junge Karl Loewenstein, der als Max Weber‑Schüler in seinen Arbeiten den englischen Parlamentarismus einer realistischen Prüfung unterzog. In der deutschen Diskussion wird dabei zumeist von konservativer Seite normativ auf die ursprüngliche Intention des Verfassungsgebers rekurriert (unter anderem: von Arnim sowie die früheren Verfassungsrichter Herzog, Kirchhof und Papier). Sebastian Galka verweist dies zu Recht und sorgfältig differenzierend in das Reich der „Legende“ (340). Zwar habe der Parlamentarische Rat keine politikwissenschaftliche Theorie gehabt und bisweilen scheine auch die liberal‑idealistische Sicht des Honoratiorenparlaments durch. Grundsätzlich aber habe dem Verfassungsgeber das realistische Modell der Parteiendemokratie deutlich vor Augen gestanden – nicht zuletzt, weil er selbst aus erfahrenen Parteipolitikern bestanden habe, die natürlich als Fraktionen agiert hätten. Und erst auf dieser Basis habe es zwei verschiedene Vorstellungen von Parlamentarismus gegeben: eine konservativ‑etatistische, „pro‑gouvernementale“ (zumeist CDU/CSU, FDP, DP, Zentrum), die auf Stabilität der Regierung gezielt habe (unter anderem: Stärkung präsidialen Einflusses und des exekutiv geprägten Bundesrats; Richtlinienkompetenz; Mehrheitswahlsystem); und eine eher sozialdemokratische, „pro‑parlamentarische“ (29) Sicht, der die Herrschaft einer starken Parlamentsmehrheit wichtig gewesen sei (unter anderem: Kanzlerwahl, konstruktives Misstrauensvotum, Verhältniswahl). Die vom Rat beschlossene Konzeption sei selbst ein parteiendemokratischer Kompromiss, der sich in jedem der hierfür zentralen Verfassungsartikel (21, 38, 63‑68, 64 und 81) direkt widerspiegle – so in der Verankerung der Parteien bei Möglichkeit des Parteienverbots, beim Parlamentsauflösungsrecht der Exekutive, aber auch durch das faktische Selbstauflösungsrecht durch die schon seinerzeit klargesehene Möglichkeit der auf Auflösung gerichteten Vertrauensfrage. Ein Kompromiss ist besonders bemerkenswert, wie Galka schließlich herausarbeitet: Beide Lager waren gegen starke Rechte parlamentarischer Minderheiten – wohl aus der historischen „Furcht vor dem Missbrauch [...] durch eine nichtdemokratische Opposition“ (338).
Robert Chr. van Ooyen (RVO)
Dr., ORR, Hochschullehrer für Staats- und Gesellschaftswissenschaften, Fachhochschule des Bundes Lübeck; Lehrbeauftragter am OSI der FU Berlin sowie am Masterstudiengang "Politik und Verfassung" der TU Dresden.
Rubrizierung: 2.322.313 Empfohlene Zitierweise: Robert Chr. van Ooyen, Rezension zu: Sebastian Galka: Parlamentarismuskritik und Grundgesetz. Baden-Baden: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37312-parlamentarismuskritik-und-grundgesetz_45816, veröffentlicht am 17.07.2014. Buch-Nr.: 45816 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken