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Stephan Wackwitz

Die vergessene Mitte der Welt. Unterwegs zwischen Tiflis, Baku, Eriwan

Frankfurt a. M.: S. Fischer 2014; 247 S.; 19,99 €; ISBN 978-3-10-091060-8
Stephan Wackwitz, Leiter des Goethe‑Instituts in Tiflis, ist vom Kaukasus als „Mitte der Welt“ fasziniert und präsentiert Georgien, Aserbaidschan und Armenien als Schnittstelle der Kontinente, Kulturen und der Jahrhunderte: „Wenn man noch nie dort war und sich ein inneres Bild der aserbaidschanischen Hauptstadt zusammenstellen will, muss man drei Dinge miteinander kombinieren, die der westlichen Imagination ganz unvereinbar vorkommen: Paris, den Ozean und mittelalterliche islamische Architektur.“ (74) Die Besonderheit der Region illustriert Wackwitz auch anhand der strategisch bedeutsamen Lage im Herzen Eurasiens, die in der Vergangenheit das „Great Game“ zwischen Großbritannien und Russland beeinflusste und auch „die geostrategisch‑utopischen Phantasien Lenins und Trotzkis beschäftigte“ (75). Wackwitz versteht es auf wunderbar eingängige Weise, Orte mit ihrer Geschichte, Gebäude und kulturelle Zeugnisse mit historisch‑politischen Anekdoten und Zusammenhängen, vor allem der Sozial‑ und Kulturgeschichte des Sowjetkommunismus zu verknüpfen. So forscht er schon fast archäologisch in die Vergangenheit seiner Umgebung hinein – und verbindet sie mit dem Jetzt, das zu erfahren er aufgebrochen ist. Der Kaukasus ist ein Raum, der für Wackwitz „auch zwischen den Zeiten“ (91) steht. Eine überaus passende Illustration dafür findet er am Rand der Straßen: Bushaltestellen aus der Zeit des Kommunismus, „als prophetisch rückwärts träumende Winkel, einer Zukunft zugewandt, aus der dann nichts geworden und die heute längst vergangen ist“ (150). Man könnte solche Beobachtungen profan nennen, wäre da nicht Wackwitz’ Stil, der atmosphärisch enorm dichte, essayistische Beschreibungen entstehen lässt – aber hier und da auch jene vollgesättigte Schwere, wenn der Autor an manchen Stellen, wie auch in anderen seiner Bücher, schlicht seine eigene Sprachgewalt feiert. Wer sich daran nicht stört, wird die Reise zur „vergessenen Mitte der Welt“ als anregende Lektüre empfinden.
Frank Kaltofen (FK)
Politikwissenschaftler, Promotionsstudent, Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.632.22.23 Empfohlene Zitierweise: Frank Kaltofen, Rezension zu: Stephan Wackwitz: Die vergessene Mitte der Welt. Frankfurt a. M.: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37225-die-vergessene-mitte-der-welt_45506, veröffentlicht am 26.06.2014. Buch-Nr.: 45506 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken