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Michael Kelpanides

Politische Union ohne europäischen Demos? Die fehlende Gemeinschaft der Europäer als Hindernis der politischen Integration

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2013; 512 S.; 79,- €; ISBN 978-3-8487-0309-8
Den Kern dieser Monografie sollte ursprünglich eine empirische Studie zur europäischen Identitätsbildung von Jugendlichen bilden. Gleich im Vorwort hebt der Autor jedoch hervor, dass diese bereits 2004/2005 durchgeführte Untersuchung von den realpolitischen Entwicklungen der Finanz‑ und Wirtschaftskrise überrollt worden sei, was eine entsprechende „Neubewertung ihrer Ergebnisse“ (24) erfordert habe. Dieser Umstand dürfte die eigentümliche Struktur des gesamten Bandes erklären, denn die Darstellung der Untersuchungsergebnisse wurde in Form eines weit ausholenden Exkurses zwischen zwei langatmige und immer wieder in unnötige Details abschweifende Abschnitte zur Entstehungsgeschichte der EU und der Bedeutung einer soziokulturellen Identitätsbildung für das Zusammenwachsen einer „europäischen Gesellschaft“ (258) eingefügt. Dabei ist Michael Kelpanides' Grundannahme mehr als relevant: Ein Wirtschaftssystem wie der Binnenmarkt der EU ist immer „komplexen außerökonomischen Einflüssen“ (15) ausgesetzt, zu denen er auch soziale, sozialpsychologische und kulturelle Faktoren zählt. Seine Studie ist damit der soziologischen EU‑Integrationsforschung zuzurechnen, die den normativen Bias des politikwissenschaftlichen Diskurses in erfrischender Weise infrage stellt. Es ist jedoch die ausladende Darstellung, mit der sich Kelpanides selbst ein Bein stellt. Allein die Problemdarstellung umfasst 60 Seiten ohne jegliche Zwischenüberschrift. Dabei unterlegt der Autor seine Argumentation mit zweifelhaften Autoren, wie Thilo Sarrazin und aus der FAZ. Inwieweit seine an sich akkurat durchgeführte Umfrage unter den 1.700 Schülern der Sekundarstufe der Europäischen Schule Luxemburg I tatsächlich repräsentativ ist, sei dahingestellt – zumal diese sehr spezielle Form der europäischen Identitätsbildung unter einem „‚konstanten‘ Sozialisationseinfluss“ (167) erfolgt. Problematisch sind vielmehr die leitenden Annahmen. In Sarrazin'scher Manier werden hier eine Laissez‑faire‑Erziehung ohne jede Haltung und Wertorientierung sowie der Verfall eines bildungselitären Anspruches beklagt. Die Wahl einer Europa‑Schule als Untersuchungsobjekt scheint da nur folgerichtig. Denn nur an „den besten Schulen“, „die über ‚kulturelles Kapital‘ verfügen“, gelinge es, „Normen und Werte“ (60) an Kinder weiterzugeben. Angesichts derartiger Feststellungen gerät Kelpanides' „Schlussbetrachtung“ (461) schließlich zu einer polemischen Abrechnung mit den griechischen Eliten.
Henrik Scheller (HS)
Dr. phil., Dipl.-Politologe, wiss. Mitarbeiter, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl Politik und Regieren in Deutschland und Europa, Universität Potsdam.
Rubrizierung: 3.43.13.63.2 Empfohlene Zitierweise: Henrik Scheller, Rezension zu: Michael Kelpanides: Politische Union ohne europäischen Demos? Baden-Baden: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37174-politische-union-ohne-europaeischen-demos_45156, veröffentlicht am 12.06.2014. Buch-Nr.: 45156 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken