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Thilo Scholle / Jan Schwarz / Ridvan Ciftci (Hrsg.)

Zwischen Reformismus und Radikalismus. Jungsozialistische Programmatik in Dokumenten und Beschlüssen

Bonn: Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger 2014; 319 S.; brosch., 19,90 €; ISBN 978-3-8012-0436-5
Die Jungsozialisten (Jusos) sind wegen ihrer programmatischen Detailverliebtheit berüchtigt: „Jusos haben mit Leidenschaft ganze Berge von Papier mit Kongressbeschlüssen und Änderungsanträgen bedruckt“, so die Herausgeber in ihrem Vorwort, „manchmal bis zur völligen Erschöpfung der für den Kongress georderten mehreren hunderttausend Blatt Papier.“ (13) Wie wählt man angesichts einer solchen Informationsflut Dokumente aus, die eine hinreichend ausgewogene Retrospektive auf gut ein Jahrhundert politisch‑programmatischer Arbeit der überaus selbstbewussten Jugendorganisation der ältesten Partei Deutschlands erlauben? Die Herausgeber haben sich zu einer Doppelstrategie aus historischen und inhaltlichen Komponenten entschieden. Der historische Teil besteht darin, die programmatische (und auch institutionelle) Geschichte der Jusos in drei Phasen einzuteilen und deren Hauptentwicklungslinien kursorisch nachzuzeichnen. Die erste dieser drei Phasen umfasst die Anfangsjahre jungsozialistischer Gehversuche in der Weimarer Republik und endet nicht etwa mit dem Parteienverbot durch die Nationalsozialisten, sondern bereits 1931 mit dem gescheiterten Versuch, die organisatorische Selbstbestimmung aufrechtzuerhalten. Die zweite Phase setzt „unaufgeregt und angepasst“ (111) unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein. Sie dauert bis in die 1970er‑Jahre, die einen Bruch in der Organisationsgeschichte markieren, da die Theoriedebatten der einzelnen Flügel – im Wesentlichen Reformisten und Antireformisten – ihre Zuspitzung erfahren. Mit der Übernahme des Bundesvorsitzes durch Gerhard Schröder 1978 beginnt die dritte Phase der Geschichte der Jusos, die insgesamt den Eindruck politischer Mäßigung vermittelt; es werden sowohl die bestehenden Gräben zur SPD überwunden als auch alltagspolitische Themen gegenüber theoretischen Debatten zunehmend bevorzugt. Der inhaltliche Teil der von den Herausgebern zur Auswahl des Materials herangezogenen Strategie besteht schlicht darin, sich – gegenwartsdiagnostisch nicht uninteressant – auf Dokumente mit Markt‑ beziehungsweise Wirtschaftsbezug zu konzentrieren. Durch Verweise in den historisch‑deskriptiven Teilen ist eine adäquate Einordnung der Quellentexte jederzeit möglich, was den Nutzen des Bandes für historische wie inhaltliche Studien zweifelsohne erhöht.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.3312.3112.3132.315 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Thilo Scholle / Jan Schwarz / Ridvan Ciftci (Hrsg.): Zwischen Reformismus und Radikalismus. Bonn: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37046-zwischen-reformismus-und-radikalismus_43903, veröffentlicht am 08.05.2014. Buch-Nr.: 43903 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken