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Jerzy Kochanowski

Jenseits der Planwirtschaft. Der Schwarzmarkt in Polen 1944-1989. Aus dem Polnischen übersetzt von Pierre-Frédéric Weber

Göttingen: Wallstein Verlag 2013 (Moderne europäische Geschichte 7); 475 S.; geb., 42,- €; ISBN 978-3-8353-1307-1
Den „Versuchen der polnischen Gesellschaft der Nachkriegszeit, die ‚sozialistische Wüste‘ sowohl zu bewässern als auch möglichst hohe Erträge aus ihr herauszupressen“ (9), widmet sich Jerzy Kochanowski, Professor am Historischen Institut der Universität Warschau, mit der Nachsicht eines Zeitzeugen. „Mit Sicherheit war es schwer, die Zeit des real existierenden Sozialismus zu überdauern, ohne an irgendwelchen Transaktionen auf dem Schwarzmarkt teilzuhaben.“ (30) Bevor er schildert, wie die Engpässe der Planwirtschaft über deren illegitime und zugleich auf das Engste mit ihr verbundene Schwester, die Schattenwirtschaft, gemildert wurden, ordnet Kochanowski das Phänomen in einer lesenswerten Auswertung polnischer, deutscher, französischer wie englischer Literatur in die europäische Geschichte ein. Dabei integriert er die verschiedenen nationalen und oft grenzüberschreitenden Erscheinungen zu einem Gesamtbild, auf dem die Schattenwirtschaft als Notwehr einer Gesellschaft gegen politisch induzierten Mangel – durch Krieg, einzelne Rationierungen oder umfassende Planwirtschaft – erscheint. Den polnischen Teil dieser Erscheinung macht der Autor über staatliche Akten (vor allem der Polizei) sichtbar und bedauert dabei, nicht auf Dokumente der anderen Seite zurückgreifen zu können. Es gelingt ihm dennoch, den Schwerpunkt auf die Gesellschaft und nicht den Staat zu legen, der über die Jahrzehnte mit verschiedenen Verboten und Strafen immer wieder versuchte, den Schwarzmarkt wenigstens einzudämmen – ohne allerdings der Bevölkerung die verlangten Waren in ausreichender Menge jemals anbieten zu können. Kochanowski verortet den Schwarzmarkt als räumliches Phänomen, das unterschiedlich stark ausgeprägt auftrat, und konzentriert sich dann auf die Fleisch‑, Alkohol‑ sowie Devisen‑ und Goldhändler. Der rote Faden bleibt dabei stets die enge Verzahnung von staatlicher und Schattenwirtschaft. Interessant ist auch das Kapitel über den Handelstourismus und damit über die Fähigkeit der Menschen, den Handel auf eigene Faust grenzüberschreitend zu organisieren und sich dabei immer wieder auf neue Bedingungen einzustellen. Kochanowski leistet mit diesem insgesamt gut geschriebenen Buch einen wichtigen Beitrag, um das jahrzehntelange leidliche Funktionieren der sozialistischen Staaten im Ostblock verstehen zu können. Es ist zugleich eine Würdigung der Menschen, die das System zumindest etwas von unten flexibilisierten. „Selbst wenn wir den ‚Schwarzbörsianern‘ und den ‚Fleischweibern‘ also nicht unbedingt Denkmäler setzen müssen, so sollten wir sie doch in wohlwollender Erinnerung behalten.“ (445)
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.612.252.262 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Jerzy Kochanowski: Jenseits der Planwirtschaft. Göttingen: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36949-jenseits-der-planwirtschaft_44834, veröffentlicht am 10.04.2014. Buch-Nr.: 44834 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken