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Isabella Margerita Radhuber

Der plurinationale Staat in Bolivien. Die Rolle der Ressourcen- und Budgetpolitik

Münster: Westfälisches Dampfboot 2013; 340 S.; 29,90 €; ISBN 978-3-89691-949-6
Diss. Wien; Begutachtung: U. Brand. – Wenn Lateinamerika das anti‑neoliberale Laboratorium unserer Zeit ist, dann wird am bolivianischen Arbeitsplatz besonders intensiv experimentiert – hat doch Evo Morales seine Präsidentschaft der Schaffung eines plurinationalen Staates verschrieben, für dessen wirtschaftliche Grundlage die Verstaatlichung des Erdgassektors als von zentraler Bedeutung definiert wurde. Das Projekt wird von der Idee getragen, den indigenen Teil der Bevölkerung, der mehr als die Hälfte der Einwohner_innen ausmacht, an Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gleichberechtigt zu beteiligen. Isabella Margerita Radhuber arbeitet zunächst die bestimmenden Komponenten von Staatlichkeit und Wirtschaftsordnung heraus. Dazu sondiert sie verschiedene theoretische Ansätze, um dann die Staatlichkeit als Ausdruck der politischen Kraftverhältnisse zu definieren und von ihrer Raumbezogenheit (nach Neil Brenner) auszugehen. Auch stellt sie eine relative Autonomie des Staates fest und ordnet Bolivien (nach Elmar Altvater) dem fossilen Kapitalismus zu. Man könnte sagen, dass genau an diesem Punkt die spezifischen Probleme des Landes ansetzen, dessen Geschichte die Autorin als die von Verstaatlichungen und Privatisierungen der natürlichen Ressourcen im Kontext der Weltwirtschaft beschreibt. Eine Demokratisierung, von der die indigenen Einwohner_innen profitieren, muss also auch ein Prozess der Dekolonisierung sein. Ob der zentralen Forderung der indigenen Völker nach Gleichheit und Selbstregulierung und damit dem Kern des plurinationalen Projekts tatsächlich nachgekommen wird, untersucht Radhuber anhand der Staatsfinanzen – ist doch das „Budget ein zentrales gesellschaftliches Steuerungselement“ (114). Dazu hat sie in den Jahren von 2007 bis 2011 in Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen in Bolivien eigene Daten erstellt, was dieser Untersuchung einen besonderen Wert verleiht. Die Ergebnisse sind ernüchternd, kommen doch der indigenen Bevölkerung, die fast nur informell wirtschaftet, lediglich überschaubare soziale Leistungen zu, während die weiße Elite nach wie vor keine Einkommenssteuern zahlt. Gleichzeitig haben die Forderungen nach Autonomie und Verfügungsgewalt über die Ressourcen nur abgeschwächt Eingang in die neue Verfassung gefunden, sodass sich die sozialen Ungleichheiten fortsetzen. Der nur zum Teil privatisierte Erdgassektor verschlingt jetzt aber nicht nur einen guten Teil der Staatsausgaben; „warum das staatliche Erdgasunternehmen YPFB die selbst generierten Einnahmen wieder absorbiert, und was dann der Beitrag des Unternehmens an die Gesellschaft ist“ (293), hält die Autorin für erklärungsbedürftig.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.65 | 2.21 | 2.263 | 2.22 | 2.262 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Isabella Margerita Radhuber: Der plurinationale Staat in Bolivien. Münster: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36948-der-plurinationale-staat-in-bolivien_44705, veröffentlicht am 10.04.2014. Buch-Nr.: 44705 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken