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Christoph Jünke

Streifzüge durch das rote 20. Jahrhundert

Hamburg: LAIKA Verlag 2014 (LAIKAtheorie); 319 S.; 21,- €; ISBN 978-3-944233-00-0
Anhand eines Kompendiums von Aufsätzen und Essays, die er in den vergangenen 15 Jahren verfasst hat, führt uns Christoph Jünke durch seine persönliche Aufarbeitung des traumatischen Epochenbruchs: das Ende des roten Jahrhunderts. Im Westen war die Revolution abwesend, im Osten unvollkommen; so begann hier wie dort in den 1980er‑Jahren der neoliberale Umbau und führte zur Entdemokratisierung. Jünke fragt weniger danach, wie es so weit kommen konnte, als vielmehr nach den Umwegen, nach den von der Linksopposition nicht gemeinsam gegangenen Wegen, die beschritten hätten werden können (und nach Jünke wohl auch beschritten hätten werden sollen). Er schreibt zwar eine Geschichte großer Männer und großer Ideen, aber er nähert sich ihr von den Rändern der Historie her. Ausgehend vom Wilhelminismus in Karl Liebknechts Deutschland begibt sich Jünke auf eine Reise durch die innerlinke Polarisierung zwischen Kommunismus und Sozialdemokratie. Er sucht nach verdrängten Versuchen eines gemeinsamen Linkssozialismus und findet verschüttete Verbindungslinien wie jene zwischen den jungen Austromarxisten um Joseph Buttinger und den Neuen Linken der 1960er‑Jahre. Jünkes Analysen umfassen immer wieder auch Parallelen zur Gegenwart, etwa wenn er über die 1930er‑Jahre schreibt: „Sowohl die Politik der internationalen Sozialdemokratie als auch die des internationalen Kommunismus waren letztlich nicht in der Lage, die welthistorische Krise der bürgerlichen Demokratie und den Aufstieg der faschistischen Barbarei für einen entscheidenden Durchbruch zum Sozialismus zu nutzen“ (56). Und so stellt Jünke schließlich die Frage und gibt der Hoffnung Ausdruck, ob wir angesichts der jüngsten welthistorischen Krise „auf dem Weg zu einem neuen Sozialismus“ (303) seien? Seine Antwort ist ein programmatisches Bekenntnis zur (direkten) Demokratie, zur Sozialisierung des Marktes, zur sozialistischen Demokratie als kollektive Selbstermächtigung: „Der Sozialismus wird demokratisch sein oder er wird gar nicht sein“ (316). Christoph Jünke konzentriert sich in seiner Analyse auf Deutschland; er behält zwar etwa Frankreich und England im Blick, aber nur aus der Sicht der deutschen Rezeption. Dadurch entgehen ihm zahlreiche Landstriche, die auch eines Streifzuges bedurft hätten, um die Epochenwende verstehen zu können. Deshalb bleiben die Leser_innen dieser Aufsatzsammlung letztlich ohne roten Faden zurück – beziehungsweise: Man bleibt mit mehreren abgerissenen roten Fadenstücken zurück, was schließlich aber wieder als Sinnbild für das 20. Jahrhundert verstanden werden kann.
Tamara Ehs (TE)
Dr. phil., Politikwissenschaftlerin am IWK Wien und Lehrbeauftragte an der Universität Salzburg (http://homepage.univie.ac.at/tamara.ehs/)
Rubrizierung: 1.32.3112.3132.3152.3312.3332.42.225.435.46 Empfohlene Zitierweise: Tamara Ehs, Rezension zu: Christoph Jünke: Streifzüge durch das rote 20. Jahrhundert Hamburg: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36918-streifzuege-durch-das-rote-20-jahrhundert_45333, veröffentlicht am 27.03.2014. Buch-Nr.: 45333 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken