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Martin Müller

Private Romantik, öffentlicher Pragmatismus? Richard Rortys transformative Neubeschreibung des Liberalismus

Bielefeld: transcript Verlag 2014 (Edition Moderne Postmoderne); 782 S.; kart., 49,99 €; ISBN 978-3-8376-2041-2
Diss. UniBW München. Begutachtung: U. Weiß. – Nützt die Philosophie im Umgang mit Nazis und sonstigen brutalen Kerlen? Der 2007 verstorbene amerikanische Philosoph Richard Rorty beantwortet diese von ihm selbst gestellte Frage negativ – und hat sich damit zu einer der umstrittensten Figuren seines Faches gemacht. Martin Müller kommt das Verdienst zu, nicht nur Rortys Versuch einer transformativen Neubeschreibung des Liberalismus systematisch und äußerst umfassend zu rekonstruieren. Er nimmt den Ansatz zudem ernst, indem er die pragmatische Methode, die nach dem Nutzen einer Theorie für die Praxis fragt, auf Rortys politisches Denken selbst anwendet. Im theoretischen Teil der Arbeit stellt Müller die These auf, dass es sich bei Rortys Denken um eine „fragile Koexistenzkonzeption von privater Romantik und öffentlichem Pragmatismus“ (26) handelt. Diese spannungsgeladene, für Müller aber tragfähige Verbindung bedeute, dass im Privaten eine romantische Vorstellung der Selbsterschaffung vorherrsche, während im Öffentlichen die pragmatische Idee der Solidarität in einer liberalen Demokratie gelebt werde. Gleichzeitig verneine Rorty jeglichen universalistischen Begründungsanspruch, denn Bedeutung könne nur innerhalb von Sprachgemeinschaften und deren Vokabularen entstehen. Müller erkennt hinter diesen theoretischen Überlegungen das ethische Motiv Rortys, durch eine transformative Neubeschreibung des Liberalismus dem liberalen Projekt dienlich zu sein, da der Antifundamentalismus ein antiautoritäres Denken stärke. Dieser Argumentationsstrang gleiche, so Müller, einer kommunitaristischen Begründung des Liberalismus, wobei die Rechtfertigung durch den von Rorty selbst so benannten offenen Ethnozentrismus nur für die Mitglieder der liberalen Rechtfertigungsgemeinschaft Geltung beanspruchen könne. Notwendig für diese Neubeschreibung werde zudem eine Veränderung des menschlichen Selbstbildes, womit Rorty normative Fragen zu Fragen der Lebenspraxis umformuliere. Für Rorty gehe es darum, eine „liberale Ironikerin“ (637) zu werden, bei der einerseits die Ironie als gelassenes Kontingenzbewusstsein im Privaten verbleibe und sich andererseits eine öffentliche Solidarität ausbilde, weil sich die liberale Ironikerin als loyales Mitglied ihrer politischen Identifikationsgemeinschaft verstehe. Ob diese politische Vision realisiert werden könne, sei für Rorty keine theoretische Frage, sondern müsse sich in der Praxis erweisen. Auch wenn für Müller Rortys Ansatz den pragmatischen Test der Nützlichkeit für das liberale Projekt besteht, verschweigt er nicht, dass diese pragmatisch‑kommunitaristische Neubegründung des Liberalismus Probleme aufweist. So sei zum Beispiel unklar, wie es zu einem Wandel des Vokabulars einer Sprachgemeinschaft komme. Insgesamt setzt diese beeindruckende Studie den Maßstab für die weitere Auseinandersetzung mit Rortys Theorie.
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Rubrizierung: 5.46 | 5.42 | 5.43 Empfohlene Zitierweise: Jan Achim Richter, Rezension zu: Martin Müller: Private Romantik, öffentlicher Pragmatismus? Bielefeld: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36898-private-romantik-oeffentlicher-pragmatismus_43291, veröffentlicht am 27.03.2014. Buch-Nr.: 43291 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken