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Martin Doll / Oliver Kohns (Hrsg.)

Die imaginäre Dimension der Politik

München: Wilhelm Fink Verlag 2014 (Texte zur politischen Ästhetik 1); 292 S.; 39,90 €; ISBN 978-3-7705-5487-4
Zum Auftakt der Reihe „Texte zur politischen Ästhetik“ steht die Frage nach der Rolle der Imagination und des Imaginären für die Genese politischer Strukturen – der Konstituierung einer Gesellschaftsformation, wie aber auch ihrer Veränderung und Auflösung – im Mittelpunkt. Mit einer deutlich kulturwissenschaftlichen Prägung werden Schlaglichter auf die Genealogie des Imaginären im politischen Denken geworfen sowie der Relevanz des Konzeptes für eine zukünftige Theoretisierung nachgespürt. Oliver Kohns führt in die gegenwärtige Debatte ein, indem er das Imaginäre zwischen einem Zirkelschluss von Rousseau zu Castoriadis als ein politisches Vermögen, das die sich verfestigte Ordnung transzendieren kann, und einer psychoanalytisch informierten, gesellschaftlichen Selbsterkenntnis verortet. Derlei Selbstbild einer Gesellschaft müsse sich, wie schon Benedict Anderson erkannte, über bestimmte Techniken medialer Repräsentation vermitteln. Dieser Perspektive des Techno‑Imaginären geht Martin Doll weiter nach und entwirft ein ritualistisches Modell des Mediengebrauchs, das er auf die gegenwärtige mediale Vernetzung im digitalen Zeitalter anwendet. Konkreter an Andersons Konzept der Imagined Community arbeitet sich Jan Lohl ab, der mit einer psychoanalytischen Vertiefung auf die Identitätskonstruktion des deutschen Nationalismus nach der Wiedervereinigung blickt und anhand einer Analyse der Normalisierungsstrategien den notwendig imaginären Charakter der Gemeinschaft unterstreicht. Mit der Vermittlung des Imaginären über Sprache schließt auch Martin Roussel an und befragt Ricœur und Derrida hermeneutisch auf ihren Zugang zur Sprache des Imaginären, der Verbindung zwischen Lektüre und Imagination. Schließlich arbeiten sich Benjamin Wihstutz und Jan Völker jeweils mit anderem Fokus zum widerständigen (wenn nicht gar revolutionären) Potenzial des Imaginären vor. Wihstutz bedient sich Rancières Metapher einer geteilten Bühne, um Politik als theatrale Inszenierung zu deuten, die auf dieser Basis herausgefordert werden kann. Völker drängt es zum Rand des Vorstellbaren, indem er mit Badiou ein emanzipatorisches Imaginäres jenseits des Staates konturiert. Als ein Impulsgeber für das Nachdenken über die Zentralität des Imaginären in der politischen Theorie leistet der Band gute Arbeit und führt entlang der bedeutendsten Eckpfeiler der zeitgenössischen Debatte verschiedene Akzente und Problemstellungen ein, die sich, ohne den Anspruch auf Letztbeantwortung, doch sehr weit vorausbewegen.
Alexander Struwe (AST)
B. A., Politikwissenschaftler, Student, Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Rubrizierung: 5.425.415.46 Empfohlene Zitierweise: Alexander Struwe, Rezension zu: Martin Doll / Oliver Kohns (Hrsg.): Die imaginäre Dimension der Politik München: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36892-die-imaginaere-dimension-der-politik_45249, veröffentlicht am 20.03.2014. Buch-Nr.: 45249 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken