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Peter Ullrich

Deutsche, Linke und der Nahostkonflikt. Politik im Antisemitismus- und Erinnerungsdiskurs

Göttingen: Wallstein Verlag 2013; 208 S.; geb., 19,90 €; ISBN 978-3-8353-1362-0
Peter Ullrich untersucht in wissenssoziologischer und diskursanalytischer Perspektive das schwierige Verhältnis, das die deutsche Linke zur Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte offenbart: „Die am lautesten wahrnehmbaren Stimmen kennen oft nur ein Entweder‑oder: Sie verfügen über unverbrüchliche Identifizierungen mit einer der beiden Konfliktseiten“ (13). Nun ist es aber nicht so, dass der, der am lautesten schreit, auch automatisch Recht hätte – geschweige denn die adäquateste Lagebeurteilung abgäbe. Ullrich versucht eine Annäherung an eine lange Art der Debattenführung, die zwischen zwei extremen Polen in linken Nahostdebatten kreist: antisemitische und rassistische Ausfälle auf der einen, Anerkennung der situativen Komplexität auf der anderen Seite. Jenseits der Auseinandersetzung mit den beiden genannten Positionen – etwa der immer wieder auftauchenden und noch nicht hinreichend aufgearbeiteten Gleichsetzung der israelischen Siedlungspolitik mit den Methoden Nazideutschlands – geht es Ullrich auf einer Metaebene dabei auch um die Art des Diskurses selbst, für den er sich mehr Anerkennung abweichender Positionen wünscht. Vor diesem Hintergrund verfolgen die einzelnen Teile des Bandes unterschiedliche Zielsetzungen. Im ersten Part geht es vornehmlich um eine Konturierung der Analyse selbst. Ullrich arbeitet hier Deutungsmuster und „diskursive Kontexte“ auf, die in Deutschland zwischen „Besatzung“ (30) und „Deutsche[r] Verantwortung“ (31) pendeln. Hierin – Israel als Aggressor und Israel als Opfer – liege eine tiefe Widersprüchlichkeit, die ihrerseits die Unversöhnlichkeit des Diskurses mit verursache. Im zweiten Teil werden Detailaspekte des linken Nahostdiskurses fokussiert – von der medialen Vermittlung des Konflikts angefangen bis hin zur Nahostpolitik der DDR, die zwar sozialistische Solidarität mit den Palästinensern übte, deren Verhältnis zu Israel indes eher ein Nichtverhältnis war. Der dritte Teil ist den zuletzt häufig und öffentlichkeitswirksam geführten Debatten um antisemitische Tendenzen in der Partei DIE LINKE gewidmet. Ullrich ist unmissverständlich klar in seiner Kritik: „Der Versuch von Samuel Salzborn und Sebastian Voigt, nachzuweisen, dass ein antizionistischer Antisemitismus [...] maßgeblich für die Partei DIE LINKE [ist], ist als haltlos zurückzuweisen.“ (187) – Über die Notwendigkeit, die deutsche Debatte über Nahost weiterzuführen, besteht kein Zweifel – Ullrichs Band tut dies nicht zuletzt auch dadurch, dass er sich um eine Metaposition in der Debatte bemüht.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.35 | 2.331 | 2.333 | 2.314 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Peter Ullrich: Deutsche, Linke und der Nahostkonflikt. Göttingen: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36644-deutsche-linke-und-der-nahostkonflikt_44832, veröffentlicht am 23.01.2014. Buch-Nr.: 44832 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken