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Jan M. Piskorski

Die Verjagten. Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts. Aus dem Polnischen von Peter Oliver Loew

Berlin: Siedler Verlag 2013; 432 S.; geb., 24,99 €; ISBN 978-3-8275-0025-0
Diese Monografie des bekannten polnischen Historikers Jan Maria Piskorski entstand auf Betreiben des Instituts für Migrationsgeschichte und Interkulturelle Studien in Osnabrück. Darin gelingt es Piskorski auf vorbildhafte Art und Weise, eine völker‑ und generationenübergreifende Erfahrung des 20. Jahrhunderts – die der Vertreibung – anschaulich zu dokumentieren, indem er sowohl das individuelle Erlebnis am Beispiel von Einzelschicksalen nachzeichnet als auch – was einen guten Historiker ausmacht – die großen Linien zu ziehen vermag. Der bearbeitete Zeitraum reicht von der Flucht der Serben infolge der vor dem Ersten Weltkrieg stattfindenden Balkankriege bis zum Exodus aufgrund des Zerfalls von Jugoslawien. Der Balkan als das Pulverfass Europas leitet also den Beginn und das Ende des Jahrhunderts der Flucht und Vertreibung ein – und dies nicht grundlos. Ebendort ist laut Piskorski etwas zum Ausdruck gekommen, was kennzeichnend für das gesamte Zeitalter der Moderne ist und mit dem Begriff der „Homogenisierung der Gesellschaft“ (17) umschrieben werden kann. Zygmunt Bauman hat dies als Kampf der Moderne gegen die Ambivalenz bezeichnet. Die zu erstrebende Homogenität der Gesellschaft, die mit der Entwicklung des modernen Staates einhergeht, treibt demnach nationale und religiöse Minderheiten in eine für sie gefährliche und nahezu ausweglose Situation, die das Tor zur Vertreibung erst eröffnet. Infolge des gesellschaftlichen Drucks, der auf den Minderheiten lastet, droht der Verlust der Identität aufgrund der Assimilierung in die Mehrheitsgesellschaft oder aber die Flucht, weil man diese behalten will. Zugleich schafft es Piskorski der Selbstgefälligkeit der Europäer entgegenzuwirken, die oftmals so tun würden, als ob die Erfahrung von Flucht und Vertreibung nichts genuin Europäisches sei. Angesichts afrikanischer Flüchtlinge, die auf dem Weg nach Italien den Tod finden, sieht sich diese Behauptung leider bestätigt. Erzwungene Migration ist hingegen ein Schicksal, das unser aller Aufmerksamkeit fordert.
Patrick Stellbrink (PS)
M. A., Politikwissenschaftler, Promovend an der TU Chemnitz.
Rubrizierung: 4.42 | 2.61 | 2.62 | 4.1 | 2.25 | 2.31 Empfohlene Zitierweise: Patrick Stellbrink, Rezension zu: Jan M. Piskorski: Die Verjagten. Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36360-die-verjagten_44562, veröffentlicht am 31.10.2013. Buch-Nr.: 44562 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken