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Hans-Ulrich Wehler

Die neue Umverteilung. Soziale Ungleichheit in Deutschland

München: C. H. Beck 2013 (Beck'sche Reihe 6096); 192 S.; brosch., 14,95 €; ISBN 978-3-406-64386-6
Hans‑Ulrich Wehler, dem wir die große, fünfbändige „Deutsche Gesellschaftsgeschichte“ (siehe Buch‑Nr. 35166) verdanken, schaltet sich mit dieser knappen Studie in die politische Debatte ein und legt eine vehemente Streitschrift über soziale Ungleichheit in Deutschland vor. Motiviert von Entstehung und Verlauf der jüngsten Finanzkrise, zu deren dramatischen Folgen der Trend verschärfter sozialer Ungleichheit gehört, informiert Wehler am Beispiel der Sozialhierarchie der Bundesrepublik über die historische Dimension von Ungleichheit. Das einleitende, umfangreichste Kapitel gibt einen selbstbewussten Überblick über Klassen‑ und Schichtungstheorien, die den weberianischen Ansatz eines „aufgeklärten Materialismus“ (49) unterstreichen und die Analyse und Interpretation von sozialer Ungleichheit an die drei Hauptdimensionen jeder Gesellschaft – Wirtschaft, Herrschaft und Kultur – binden. Unter den aktuellen Theoriemodellen gilt ihm, in deutlicher Abgrenzung von Pluralisierungstheorien wie der Beck‘schen Risikogesellschaft oder der Lebensstilforschung, Bourdieus auf der Einheit des materiellen und kulturellen Lebens insistierender Ansatz als der aussichtsreichste. In den folgenden empirischen Teilen geht es Wehler primär um den Nachweis der Kontinuität der Ungleichheitsstrukturen in der deutschen Gesellschaft. Er zeigt es prägnant an der Verteilung von Einkommen und Vermögen, bei denen sich die eingeschliffenen Unterschiede, trotz kontinuierlicher Einkommenssteigerung, „über die Jahrzehnte hinweg unerschütterlich erhalten“ (68). Ähnlich auch haben sich – nur wenig beeinflusst von der Bildungsexpansion – die ebenso auf Eigentums‑ wie Positionsmacht beruhenden Mechanismen der Selbstrekrutierung der Eliten verfestigt. Im Duktus vergleichbar, allerdings wesentlich kürzer geht Wehler auf weitere Ungleichheitsdimensionen (Heiratsmärkte, Alter, Geschlecht, Gesundheit, Wohnbedingungen, Konfessionen, Herkunft) ein, wobei die empirische Basis zuweilen nur angedeutet wird. Unabhängig davon ist dieses Buch in der Entschiedenheit seines Urteils eine Herausforderung der Sozialwissenschaften durch die Sozialgeschichtsschreibung.
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.35 | 2.3 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Hans-Ulrich Wehler: Die neue Umverteilung. München: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36319-die-neue-umverteilung_43614, veröffentlicht am 24.10.2013. Buch-Nr.: 43614 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken